Automated Transfer Vehicle

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ATV beim Anflug zur ISS

Das Automated Transfer Vehicle (ATV, automatisches Transferfahrzeug) ist ein unbemannter, nicht wiederverwendbarer Weltraumfrachter, der Nachschub wie Nahrung, Wasser, Ausrüstung, Stickstoff, Sauerstoff und Treibstoffe zur Internationalen Raumstation (ISS) transportieren kann. Nach dem Andocken ist er zusätzlich für Ausweichmanöver der Raumstation vor eventuell heranfliegenden Trümmern und für die Höhenkorrektur, dem so genannten „Reboost“, der ISS verantwortlich. Zu diesem Zweck ist das ATV mit einem wiederzündbaren eigenen Antrieb ausgestattet[1]. Das ATV wird im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) von der Raumfahrtfirma EADS Astrium Space Transportation in Bremen gebaut und mit Hilfe einer Ariane-5-ES-ATV-Rakete gestartet. Nach dem ersten Start im März 2008 sind mindestens vier weitere Flüge für die Jahre 2010 bis einschließlich 2013 geplant.

Einsatz und Technik

Der Start des ersten von fünf ATVs erfolgte am 9. März 2008 um 04:03 UTC; am 3. April dockte es um 16:52 MESZ (14:52 UTC) erfolgreich an der Internationalen Raumstation an. Es trägt den Namen Jules Verne, zur Erinnerung an den französischen Science-Fiction-Schriftsteller.[2]

Nach dem Start des Prototypen soll etwa alle zwölf Monate eines der über 13 Tonnen (Leermasse) schweren ATVs vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana zur ISS fliegen.

ATV „Jules Verne“, Kopplungsmechanismus

Das Raumschiff ist mit einem hochentwickelten Navigationssystem ausgerüstet, mit dem es seine Flugbahn selbst berechnen und das Rendezvous-Manöver mit der Raumstation völlig automatisch durchführen kann. Die Kopplung war das erste vollautomatische Dockingmanöver im All, das nicht von einem russischen Raumfahrzeug durchgeführt wurde. Auch weil das ATV an das russische Swesda-Modul andocken sollte, wurde beim Kopplungsmechanismus auf eine russische Entwicklung zurückgegriffen.

Überwacht werden die ATV-Manöver vom ATV Control Centre (ATV-CC), das 2002 im französischen Centre national d'études spatiales in Toulouse eingerichtet wurde. Hier wird auch die Zusammenarbeit mit den für die ISS zuständigen Kontrollzentren in Moskau und Houston koordiniert.

Das ATV bleibt bis zu sechs Monate mit der ISS verbunden. Der Frachtraum steht dabei unter Druck und kann von der Besatzung der Station betreten und als zusätzlicher Raum genutzt werden. Die Versorgungsgüter werden entnommen und das Vehikel mit bis zu 6,3 Tonnen Abfall beladen, der in der Raumstation angefallen ist. Während der Kopplungsdauer werden die Triebwerke des ATV dazu genutzt, die Station in eine höhere Umlaufbahn (maximal 500 km) zu heben. Solche Korrekturen sind in regelmäßigen Abständen nötig, da die ISS aufgrund der Reibung mit der Restatmosphäre in der Erdumlaufbahn von rund 400 Kilometern täglich etwa 120 Meter an Höhe verliert. Kontrollierte Schübe aus den Antrieben des ATV gleichen diesen Verlust aus. Jedes ATV führt genügend Treibstoff, um die Station bis zu 30 Kilometer anzuheben. Nach der Nutzungszeit wird das ATV wieder automatisch zur Erde gelenkt, wobei der Eintrittswinkel in die Erdatmosphäre so steil gewählt wird, dass das ATV in den oberen Schichten der Atmosphäre verglüht.

Das ATV soll das russische, ebenfalls unbemannte Versorgungsraumschiff Progress nach der Stilllegung der amerikanischen Space-Shuttle-Flotte im Jahr 2010 deutlich entlasten. Es hat pro Flug etwa die dreifache Transportkapazität gegenüber dem russischen Raumschiff.

Kosten

Obwohl das ATV ein „Wegwerfprodukt“ ist, ist die Verwendung eines unbemannten Versorgungsschiffes für die ISS nicht unbedingt teurer als die Versorgung mit dem (wiederverwendbaren) Space-Shuttle-Orbiter, denn innerhalb einer bemannten Mission haben Sicherheitsaspekte eine große Bedeutung, was beträchtliche Kostensteigerungen mit sich bringt. Ein Flug des Space Shuttles, der bei der Planung 1972 mit 10,5 Millionen US-Dollar veranschlagt wurde, kostet heute je nach Berechnungsmodell zwischen 400 Millionen und 1 Mrd. US-Dollar (bei rund 10 Tonnen Nutzlast im MPLM zur ISS), ein ATV-Flug mit 7,6 Tonnen Nutzlast dagegen nur etwa 330 Millionen Euro (etwa 456 Millionen US-Dollar per Ende Juni 2007). Ein Progress-Flug mit 2,3 Tonnen Nutzlast kostet etwa 26 Millionen Euro.

Transporter Progress ATV HTV Space Shuttle mit MPLM
Kapazität 2,3 t 7,6 t 6,0 t 10 t
Träger Sojus Ariane 5 H-2B Space Shuttle
Preis pro Start
(1 € = 1,5383 US$)

(Transporter + Träger)
26 Mio. EUR
40 Mio. USD

(20 Mio. + 20 Mio. USD)
330 Mio. EUR
508 Mio. USD

(150 Mio. + 180 Mio. EUR)
? Mio. USD


(? Mio. + 90 Mio.)
260 Mio. EUR
400 Mio. USD
≈ 1 Mrd. USD
 
Preis pro Tonne
(1 € = 1,5383 US$)
11,3 Mio. EUR
17,4 Mio. USD
43,4 Mio. EUR
66,8 Mio. USD
? 40 Mio. - 100 Mio. USD

Missionsverlauf

  1. Die europäische Trägerrakete Ariane 5 ES ATV startet mit dem ATV an der Nutzlastspitze vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou aus.
  2. An der Spitze der Ariane 5 muss das ATV über drei Minuten lang größten strukturellen Belastungen standhalten, während die Rakete in den Weltraum fliegt.
  3. Etwa 100 Minuten nach dem Start hat das ATV seine Solarpaneele ausgebreitet und fliegt nun automatisch gesteuert zur Internationalen Raumstation.
  4. Das Andockmanöver beginnt normalerweise fünf Tage nach dem Start. Es wird ebenfalls vollautomatisch von einem Lasersystem (russische Entwicklung) durchgeführt. Beim Erstflug gab es eine Verzögerung auf den 3. April 2008, da man den Abflug des Space Shuttles „Endeavour“ abwartete.
  5. Das ATV ist nun eine Art Erweiterung der Station. In seinem 45 m³ großen Innenraum können sich auch Raumfahrer aufhalten, um die Versorgungsgüter zu entladen und dort eigenen Müll zu deponieren. Das ATV kann 7,5 Tonnen Nutzlast transportieren.
  6. Da die ISS ständig an Höhe verliert, wird die Umlaufbahn mit Hilfe der ATV-eigenen Triebwerke gestützt.
  7. Nach sechs Monaten an der Station wird das ATV mit 6,3 Tonnen Müll der Raumfahrer beladen und in Richtung Erde gelenkt. Das Raumschiff verglüht schließlich in der Atmosphäre.

Technische Daten

Treibstofftank
  • Max. Länge: 10,27 m
  • Max. Durchmesser: 4,48 m (mit ausgefahrenen Solarzellenflächen 22,28 m)
  • Leermasse: 10.470 kg
  • Startgewicht: 19.400 kg[3]
  • Verbrauchsmaterial des ATV: 2.613 kg
  • Nutzlastkapazität: (max 7.667 kg, typisch 7.500 kg) kann sich variabel zusammensetzen aus
    • maximal 5.500 kg trockenes Material wie Nahrungsmittel
    • maximal 4.700 kg Treibstoff
    • maximal 860 kg Treibstoff für die ISS
    • maximal 840 kg Trinkwasser
    • maximal 100 kg Luft (Sauerstoff und Stickstoff)
  • Maximal mögliche Masse beim Start: 20.750 kg
  • Abfall-Aufnahmekapazität: typisch 6.300 kg
  • Energieversorgung: vier Solarzellen-Panele und acht wiederaufladbare Batterien, Energieverbrauch 400 bis 900 W
Wassertank

Das ATV ist mit einem hochentwickelten Navigationssystem ausgerüstet, mit dem es seine Flugbahn selbst berechnen und das Rendezvous-Manöver mit der Raumstation völlig automatisch durchführen kann. Dieses besteht aus einem RDS-Laserradar (Rendezvous- and Docking Sensor) von Jena-Optronik und einem optischen System (Videometer), das diese zusammen mit der französischen Firma Sodern baut.

Das Lagekontrollsystem steuert 28 Triebwerksdüsen, die jeweils 220 Newton Schub liefern. Als Treibstoff kommt Monomethylhydrazin, als Oxidator Stickstofftetroxid zum Einsatz.

Mögliche Weiterentwicklung des ATV

Die ESA sieht das ATV auch als Basis für Weiterentwicklungen. Es gibt dazu zwei Studien mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die zu der Raumfahrtinitiative der USA aus dem Jahre 2004 Bezug nehmen. Diese sieht u.a. das Auslaufen des Space-Shuttle-Programms bis 2010 vor. Erst mit der Einführung des geplanten Orion-Raumschiffes ab 2014 stünde wieder ein amerikanisches Raumschiff zur Verfügung, um Material und Astronauten zur Erde zurückzubringen.

UIC (Unpressurized Logistics Carrier)
Der UIC soll mehrere Tonnen von nicht unter Luftdruck stehender Fracht zur ISS bringen. Hierzu wird das im derzeitigen ATV integrierte Frachtmodul durch das UIC ersetzt. Die Fracht kann dann durch den European Robotic Arm oder durch einen Astronauten an die endgültige Position an der Raumstation angebracht werden.
Large Cargo Return
Der Plan sieht vor, das Frachtmodul des ATV mit einem Hitzeschild für den Wiedereintritt in die Atmosphäre auszustatten. Damit soll es möglich sein, mehrere hundert Kilogramm an Fracht und Experimenten zurück zur Erde zu bringen. Hierfür könnte das Konzept des Atmospheric Reentry Demonstrators (ARD) genutzt werden, welches bereits im Jahre 1998 erfolgreich getestet wurde.
CARV (Cargo Return Vehicle)
Das CARV ist eine weitere, detailliertere Studie mit einem höheren Budget aus dem Jahre 2004. Es soll am amerikanischen Teil der ISS andocken können, um die International Standard Payload Racks (ISPR) auszutauschen und zurück zur Erde zu bringen.
Small Payload Return
Unter Ausnutzung des inneren Volumens des ATV könnte es mit einer kleinen Kapsel für den Rücktransport von circa 150 kg Material zur Erde ausgestattet werden.
CTV (Crew Transport Vehicle)
In der Modifikation als CTV soll das ATV den Transport von Astronauten ermöglichen. In der ersten Phase dient es dabei als Crew Return Vehicle (CRV) für die ISS. In einer weiteren Entwicklungsstufe soll es als vollwertiges Raumschiff eingesetzt werden können, um Astronauten in den Weltraum und zurück zur Erde zu bringen. Im Juni 2006 wurde dazu von der ESA die Studie für ein Crew Space Transportation System (CSTS) in Auftrag gegeben. Darin wird die Konstruktion eines Raumschiffs in Kooperation mit Russland erörtert, mit dem der Mond-Orbit erreicht werden kann. Hierzu sollen auch erprobte Technologien des ATV zum Einsatz kommen.
Free-Flying Lab/The Safe-Haven
Das ATV könnte vergleichsweise einfach zu einem unbemannten freifliegenden Labor weiterentwickelt werden. Dieses könnte einen besseren Mikrogravitationslevel für Experimente bereitstellen. Zum Austausch von Experimenten soll es an die ISS andocken. Weiterhin könnte ein solches Modul als eine Art Rettungsboot (Safe-Haven) fungieren. Dies würde im Falle eines schweren Störfalles auf der ISS genug Zeit geben, die Besatzung mit Hilfe eines Sojus-Raumschiffs oder eines Space Shuttles zu retten.
MSS (Mini Space station)
Das ATV könnte mit zwei Andockmechanismen ausgestattet werden und so dem Aufbau einer Mini-Raumstation oder eines Raumlabors dienen.
ETV (Exploration Transport Vehicle)
Weiterentwicklungen des ATV könnten für den Transport von Fracht und Astronauten in den Mond- und den Mars-Orbit oder auch für den Einsatz von Weltraumteleskopen genutzt werden. Die ESA strebt damit langfristig die Weiterentwicklung des ATV zu einem universell nutzbaren Raumtransporter an.

Missionen

Nr. Bezeichnung Start (UTC) Ankopplung (UTC) Abkopplung Deorbit
1 Jules Verne 9. März 2008, 04:03 3. April 2008, 14:45
2 ATV-2 2010 (geplant)
3 ATV-3 2011 (geplant)
4 ATV-4 2012 (geplant)
5 ATV-5 2013 (geplant)
Commons: Automated Transfer Vehicle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  1. http://www.esa.int/esaMI/ATV/ESAE021VMOC_0.html ATV mission scenario - animation ESA
  2. ESA Nachrichten: Europa startet seinen ersten ATV-Versorgungstransporter „Jules Verne“ zur ISS, 9. März 2008
  3. www.arianespace.com: The Spaceport welcomes a record-setting payload with the arrival of Europe’s Automated Transfer Vehicle. 31. Juli 2007. (englisch)