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Der Schwärzer

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Textdaten
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Autor: Herm. Schmid
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Titel: Der Schwärzer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 180–183
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Schmuggler im bairischen Hochland
Reiseerinnerung
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Der Schwärzer.
Reiseerinnerung von Herm. Schmid.


Das Hochgewitter hatte vertobt. Am geröllreichen Ufer der von den Regengüssen rasch angeschwellten wild sausenden Loisach ging die Wanderung wieder im schmalen Gebirgsthale dahin; es war noch am Tage und die Möglichkeit vorhanden, die schöne Ebene, die vor dem Wetterstein und der Zugspitze sich bis zum hohen Kramer hinüber dehnt, noch vor Abend zu erreichen und in dem gastlichen Partenkirchen von den Mühen des Weges zu rasten.

Mit frühestem Morgengrauen und beim herrlichsten Wetter hatten wir die letzten Häuser des freundlichen Marktes Murnau hinter uns gelassen und waren den Bergen entgegen gewandert, die da schon so nahe grüßen, daß man anfängt, das geheimnißvolle Wehen ihres gewaltigen Athems zu spüren. Aber es gab zu allen Seiten, auf Schritt und Tritt so viel des Neuen oder Beachtenswerthen, daß die Fußwanderung mehr das Gepräge eines ziellosen Lustwandelns erhielt: bald setzte irgend ein anziehendes Gewächs unsere Pflanzenkunde auf die Probe, bald forderte ein Stein oder Block am Wege durch Lage oder Form uns zu Vermuthungen heraus, wie der Fremdling sich wohl dahin verirrt haben mochte, und wenn sich nichts Einzelnes fand, was beschäftigte und unterhielt, so gab es der Lockung nur zu viel, bei der Wanderung durch ein Dörfchen oder beim Begegnen eines rüstigen Flößers sich in allgemeine Culturfragen zu vertiefen, oder der geschichtlichen Ereignisse zu gedenken, die hie und da über eine Stelle dahin gezogen, ohne mehr zurück zu lassen, als eine verblichene Erinnerung; oder endlich es galt, mit dem Auge des

[181]

Ein Schmugglerzug im bairischen Hochlande.
Originalzeichnung von Sundblad.

Künstlers die sich immer reicher ausbreitende Landschaft zu sammeln und mindestens geistig zum flüchtigen Bilde zu gestalten.

Das verzögerte die Wanderung; als die Sonne höher stieg, geschah dies nicht minder durch die Hitze, welche uns die Last von Ränzchen, Reisetasche, Botanisirbüchse und Skizzenbuch, womit wir beladen waren, doppelt fühlbar machte und uns zwang, unter jedem Baume auszurasten, der am Wege seinen Schatten und darunter einen flüchtigen Ruhesitz anbot. So kam es, daß es Mittag wurde, eh’ die verhältnißmäßig nicht lange Strecke zurückgelegt war, und daß ein Gewitter, welches mit aller in den Bergen üblichen [182] Schnelligkeit und Heftigkeit losbrach, uns auf offener Straße erreichte und ziemlich durchnäßt in ein Wirthshaus am Wege scheuchte. Da war es aber schon sehr lebendig geworden und gab keine andere Zuflucht, als unter dem ungewöhnlich großen Vordache, das sich am Hause quer über die ganze Straße breitete, so daß darunter einige schwere Lastwagen sammt Gespann und ein paar Equipagen Platz fanden, deren Besitzer die Räume der Gastzimmer in Beschlag genommen hatten und verdrießlich über die Störung der Vergnügensfahrt mit Umschlagtüchern, Mänteln und Crinolinen behaupteten. Wir konnten von Glück sagen, in einer windgeschützten Ecke noch einen unbesetzten Klapptisch zu finden, an welchem wir einen stark ländlichen Imbiß aufgetischt erhielten und dann, durch Schottlands trefflichste Erfindung, den Plaid, gegen die kühle Regenluft geschützt, nicht ohne Behaglichkeit dem Klatschen der Dachtraufen zuzuhören, welche aus ein paar ungeheuerlichen Drachenmäulern wie Bäche niedergingen, und in den dichten Regen zu starren, der wie eine graue Decke über der ganzen Gegend hing.

Die Fuhrleute waren beschäftigt, an ihren Wagen allerlei zu ordnen und zu bosseln, die Pferde zu füttern und zu tränken; dabei ging ihnen ein alter Bursche zur Hand, der die Wasserkübel trotz des Regens am Brunnen füllte, den Thieren vorhielt und andere Dienste verrichtete. Ein abgeschabtes Tirolerhütlein, eine Joppe, deren brauner Stoff sich fast wie ein grober Filz ansah, ein schmutziges Hemd und fast farblos gewordene lederne Kniehosen bildeten den ganzen ärmlichen Anzug des Mannes, der es nicht zu fühlen schien, wenn ihm der Regen in den Nacken schlug und bei den Aermeln wieder herauslief. Es mochte einmal ein großer stattlicher Mann gewesen sein, jetzt war er vom Alter verkrümmt und verzogen, der Körper sah aus wie ein mit brauner lederhafter Haut überzogenes Knochen- und Sehnengebilde und auch das Gesicht machte davon keine Ausnahme. Aus den scharfen Zügen, die sich ansahen wie verwittertes Gestein, sprang eine mächtige gebogene Nase über einem schneeweißen Schnauzbart vor, und unter starken Augenbrauenbüscheln von derselben Farbe fuhren ein paar lebhafte Augen hin und wieder – der letzte Funken des Feuers, das einst in der ganzen Gestalt gelodert haben mochte. Von der einstigen Kraft zeugten auch die festen Reihen wohl erhaltener Zähne, zwischen denen er den unablässig glimmenden Pfeifenstummel ununterbrochen festhielt. Es war ein sogenannter Nasenwärmer, und was daraus aufrauchte, gemahnte an jenen Rollenknaster, von dem das Volk sagt, man bekomme für sechs Pfennige so viel von der Sorte, daß man ihn dreimal um den Leib wickeln könne.

Es zog mich an, den Alten zu beobachten, der sich, nachdem er seine Arbeit gethan, an einem Tischchen neben uns niederließ, und so schenkte ich den Erörterungen meines gelehrten Freundes nur halbes Ohr, der bei der Unmöglichkeit, irgend einen Naturgenuß von der Gegend zu haben, einen Ersatz darin suchte, uns die geschichtlichen Erinnerungen in’s Gedächtniß zu rufen, die an mancher Stelle derselben hafteten. In seinem Filzkittel saß dabei der Alte nebenan, rauchend – sonst aber unbeweglich; nur manchmal nickte er mit dem Kopfe, als wolle er zeigen, daß er aufmerksam zuhöre. Dabei ging ein eigenthümliches Lächeln durch seine Züge, als wisse er das Alles eben so gut oder gar noch besser, als habe er das Alles selbst erlebt und freue sich, Dinge erzählt zu hören, die er ob der Länge der Zeit schon vergessen.

Endlich ließ der Regen nach; schnell, wie es gekommen, verflog das Gewölk, im Scheine der durchbrechenden Sonne flimmerten alle Bäume und Gräser, als wären sie statt mit Wassertropfen mit Edelgestein behangen, die Fuhrleute spannten ein und zogen ab unter lustigem Peitschenknallen; die Equipagen mit den ebenfalls aufgeheiterten Touristen rollten davon und auch wir schickten uns an, den Wanderstab weiter zu setzen und Ränzel und sonstige Zubehör wieder aufzuladen, als der Alte herzutrat und sich erbot, ob er uns nicht das Gepäck tragen dürfe. „Ich bin ein so alter liederlicher (schwacher) Mann,“ sagte er, „der nimmer viel schaffen mag (arbeiten kann); ich muß ohnedem hinein nach Partenkirch’ – wärt’ mir net zuwider, wenn ich ein’n Tabakkreuzer verdienen könnt’!“

Das Anerbieten kam gar nicht ungelegen, aber wir scheuten uns, dem alten Manne unsern eigenen jungen und rüstigen Schultern gegenüber diese Last aufzuladen, und sprachen unsern Zweifel aus, ob er sich nicht etwas überbürde, dem er nicht gewachsen sei.

Mit einem Blick unsäglicher Geringschätzung musterte er darauf unser Gepäck. „Die paar Bünkeln (Bündel)?“ sagte er dann, „auf dem schnurebenen Weg! Wenn ich auch meinen guten Siebziger hab’, ein solcher Krachezer (Schwächling) bin ich doch noch nicht … ich hab’ wohl eh’ ein paar Zenten auf’m Buckel ’trag’n und das auf ein’ Weg, der ein bissel schiecher (schlechter) gewesen ist … um’s Können!“

Damit hatte er, ohne weitere Erwiderung abzuwarten, unsre Sachen aufgerafft und schritt rüstig voran; es blieb nichts übrig, als ihm den Willen zu lassen und zu folgen.

So ging es wohlgemuth dahin bis hinter das Dörflein Oberau, wo sich rechts die Straße abzweigt, um über den Ettaler Berg nach Ammergau hinauf zu steigen, und mit einmal das bisher verhältnißmäßig enge Thal sich breit und lachend aufthut, ein überwältigender Anblick. Das kurze Grün der Wiesen duftete stärker, der Hauch der erfrischten Wälder strich anmuthig darüber hin; nicht mehr zu fern winkte der Kirchthurm von Partenkirchen und drüber stieg das Wettersteingebirg in erhabener Ruhe grau, starr und gewaltig in den blauen Abendhimmel hinein, links hin, wo die letzten Nachzügler der Regenwolken hingen, flimmerte es wie ein schwacher Regenbogen, vom höchsten Grate der Zugspitze aber flammte das Kreuz.

Wir hielten an, all’ den Reiz vollends in uns aufzunehmen, den erquickenden Lufthauch recht tief einzuathmen und nach alter liebgewordener Gewohnheit in die Gegenwart als Staffage ein Stück Vergangenheit hinein zu zeichnen. „Wir stehen hier,“ sagte der Freund, „auf dem Zuge der alten Rottstraße. Als die Richtung des Seehandels noch nicht um das Vorgebirg der guten Hoffnung ging und die Waaren aus Ostindien noch über das mittelländische Meer, Venedig und durch Tirol verführt wurden, war es hier, wo zum Schutze des Verkehrs sich ein eigener Bund der Frachtmänner und Fuhrleute bildete, um die Verbindung mit Augsburg und den Transport der Güter dahin und nach den übrigen Handelsstädten Deutschlands zu erhalten und zu sichern. Aehnlich jenen der gegenwärtigen Posten bildeten sie an bestimmten Orten eigene Stationen mit Lager- oder Ballhäusern, worin die Güter so lange verwahrt wurden, bis so viele Fuhrleute beisammen waren, um einen Zug oder eine Rotte zu bilden, welche dann mit eigener starker Bedeckung die Waaren sicher weiter beförderte.“

Mehr als diese Erinnerungen zog mich das Gebahren unsres alten Trägers an, mit welchem auf einmal eine völlige Veränderung vorzugehen schien. Unmerklich war er von dem Straßenrande, an dem er sich niedergekauert, aufgestanden und herangetreten, um zuzuhören, ein Zug des innigsten Vergnügens erheiterte sein Gesicht, die unzertrennliche Pfeife fing an, darüber auszugehen.

„Gefällt Dir das, Alter?“ fragte ich ihn. „Hast wohl noch nie etwas davon gehört, wie es damals in der Gegend zuging, wo Du daheim bist?“

Der Alte maß mich mit einem Blicke, fast so geringschätzig wie jener, womit er das Gepäck gemustert hatte. „Wie soll ich nichts davon gehört haben,“ erwiderte er dann mit verschmitztem Lachen. „Was braucht man davon erst zu hören, wenn man selber dabei gewesen ist …“

„Dabei gewesen?“ riefen wir staunend. „Bei was willst Du gewesen sein, Alter?“

„Bei was sonst, als wovon Sie gerad’ geredt haben … bei der Rott’…“

Mein Freund warf mir einen bedeutsamen Blick zu: es war klar, wir hatten mit einem Halbverrückten zu thun. Dennoch war es nicht ohne Reiz, den Gedankengang des Alten kennen zu lernen.

„Du irrst Dich, Freund,“ sagte ich, „wovon wir sprachen, das ist schon vor mehreren hundert Jahren geschehen.“

Er schüttelte fast unwillig den Kopf und rief mit einem Schmunzeln mitleidiger Ueberlegenheit: „Gebt Euch keine Müh’, das muß ich doch besser wissen, als Ihr Herrn: Ihr seid ja noch viel zu jung dazu. Hab’ ich auch schon bald den Achtziger auf dem Rücken, meine fünf Sinne hab’ ich doch beisammen und denk’ es noch wie heut’, wie mein Vater mich zum ersten Mal mitnahm … ich war noch ein Bübel von zwölf Jahren und die ganze Rott’ kam in Ehrwald zusammen, drüben im Kaiserlichen und ist herüber gezogen über den Waxenstein und durch den Höllentobel …“

[183] Das Verständniß begann mir aufzudämmern: es war eine andere Art des Verkehrs, wovon der Alte redete, und eine andere Zeit, aber die Unterschiede verwischten sich in seinem greisen Kopfe und verbanden sich mit der Vorstellung, die wohl das Hauptbild seines Lebens und dessen Mittelpunkt gewesen sein mochte.

„Wenn Du also wirklich bei der Rotte gewesen,“ fragte mein Freund, „warum habt Ihr einen so absonderlichen Weg gewählt, statt der offenen Straße?“

Der Alte sah sich vorsichtig um, ob uns Niemand belausche. „Jetzt kann man schon herausgeh’n mit der Farb’,“ sagte er dann, „jetzt hat’s keine Gefahr mehr … es hat eben heimlich gescheh’n müssen, denn die Mauthner und die Cordonisten haben aufgepaßt auf allen Wegen. Wir haben oft um viele tausend Gulden herübergetragen in unsern Ruckbünkeln, Uhren und Seidenzeug, und ist niemals Einer erwischt worden. Waren unser aber auch ein dreißig Mann in der Rott’, lauter Kerls wie die Bäum’ und Jeder seine Kugelbüchs’ über die Brust …“

„Offen herausgesagt, Du bist also ein Schmuggler gewesen?“

„Ich weiß net, was das ist; aber geschwärzt hab’ ich, daß es nur so eine Freud’ gewesen ist!“

„Ein gefährliches Geschäft und von geringem Gewinn!“

„Ja, viel hat net herausgeschaut dabei, das ist wahr, aber ein lustiges Leben ist’s doch gewesen, fast lustiger als das Wildpretschießen. Freilich, den Schwindel darf Einer net haben und den Zitterer in die Knie’, dafür ist’s aber ein Vergnügen, wenn man die Mauthner gefoppt hat und hat sie auf einen andern Weg hineingenarrt, und während sie gepaßt haben die ganze Nacht, sind wir hoch über ihren Köpfen dahin marschirt; wir haben halt die Weg’ und Steg’ in den Bergen besser gekennt, als die Jäger und Cordonisten und alle die Mauthschnuffler mit einander!“

„Und hast Du das Gewerbe schon lang aufgegeben?“

„Es kann so in die zwanzig Jahr’ geh’n,“ sagte der Alte, „der Verdienst ist alleweil schlechter worden, es hat zuletzt die Nägel an den Schuhen nicht mehr ausgetragen, und nachher … wie ich das letzte Mal dabei gewesen bin, hab’ ich mir völlig einen Grausen davor gefaßt.“

„Warum das?“ fragten wir neugierig, denn in dem harten Gesichte des Alten ward etwas sichtbar wie Trauer und der Widerschein von Dingen, die schlimm genug sein mochten, auch eine solche Eisennatur grauen zu machen.

„Es ist nichts Besonderes gewesen justament,“ erwiderte er, „mein’ besten Cameraden hab’ ich halt ein’büßt dabei!“

„Erzähle doch!“

„Es ist um die Zeit gewesen,“ begann er, „wo der Tag schon kürzer wird – da ist der Stecken herum’gangen bei der ganzen Rott’, das ist das Zeichen gewesen, daß in den Häusern, wo wir unsern Unterschlupf gehabt haben, wieder so viel Waar’ bei einander ist, daß es der Müh’ werth thut, wieder einmal über die Jöcher zu geh’n. Es ist finster gewesen wie in einem Sack, wie wir uns auf den Weg gemacht haben, der Mond ist wohl im Kalender g’standen, aber der Himmel war zu’deckt und der Rottenführer hat nichts hören wollen von Warten. Der Mond kommt heut’ so bald nit durch, hat er gesagt; derweil’ sind wir lang übern Ferner und dort können wir’s brauchen, wenn er uns leucht’t! Aber wie’s halt geht, wenn Einem einmal ein Unglück aufg’setzt ist, – die Mauthner haben Wind gehabt von unserm Zug – wir haben müssen einen Umweg machen an das Gewand’ (Gewände) hin und auf einmal ist der Mond da gewesen, der Broddieb, und der ganze Himmel ist so spiegelheiter worden, daß man Stunden weit hat seh’n können … Hat auch nit lang gedauert, so haben uns die Mauthner erseh’n und haben uns ein Kügerl nachg’schickt nach dem andern … Wir sind gerad’ an der Wand hin – den allerbösesten Weg, wo der Steig oft nit breiter ist als eine Hand; auf der einen Seite geht’s kirchthurmhoch hinauf schier bis in den Himmel hinein, auf der andern geht’s zweimal kirchthurmtief hinunter, … die Stein’ sind mitunter rogel (locker) von die Güss’ und ist nirgends nix zum Anheben als manchmal eine Latschen mit ihren krummen Wurzeln, wann’s hebt (hält) und nicht nachgiebt mitsammt dem Stein … Die Meisten sind schon glücklich hinüber gewest um die Teufels-Schneid’ – ich war der Vorletzte und hinter mir der Anderl ’gangen, mein Camerad, weil wir halt die richtigsten Schützen gewesen sind und die schärfsten Kraxler – weit hinter uns, da sind die Jager nach’kommen … Auf einmal da schallt’s wieder, die Kugel schlagt an der Wand ein, prallt ab und trifft den Anderl mitten in d’Brust … Es hat ihn nieder’geschlagen wie der Blitz, aber er hat sich doch an ein’ Zacken erhalten, daß er net hinunterg’stürzt ist …“

Der Alte hielt an; er mußte Feuer schlagen, die Pfeife wieder anzuzünden; dann begann er wieder und dampfte stärker.

„‚Ich hab’ mein’ Theil, Brüderl,‘ hat er mir zug’rufen, ‚mach, daß Du den Andern nachkommst – und b’hüt’ Dich Gott! …‘ Man kann auf dem Weg net zurück wie man will – also hab’ ich mich erst vorsichtig und langsam wenden müssen … es ist mir so schwer gewesen um’s Herz, als wenn ich die Kugel selber drinn’ hätt’ … mitten drinn’. ‚Wird ja net so weit gefehlt sein, Anderl,‘ hab’ ich ihm voll Schrecken zug’rufen, ‚halt Dich nur wacker an, ich leg’ mein’ Bünkel ab und nimm’ Dich auf den Rucken und trag’ Dich hinunter …‘

‚Gib Dir kein’ Müh,‘ hat er wieder gesagt, ‚mach’ daß Dich die Mauthner net erwischen und Alles verrathen wird …‘ ‚Aber Du?‘ hab’ ich gefragt, ‚wie ist’s, wenn sie Dich kriegen? …‘ ‚Sorg’ Dich net, Brüderl,‘ hat er g’antwort’t, ‚mit mir ist’s aus – bet’ ein Vaterunser für mein’ arme Seel – das soll kein Mauth-Scherg sagen können, daß er den Anderl g’fangen hat …‘ Drauf hat er sich loslassen und im nächsten Augenblick drunten g’legen in der Klamm, wo nichts hinkommt als das wilde Wasser – und da liegt er noch und wird wohl liegen bleiben bis zum jüngsten Gericht …“

Der Alte bekreuzte sich, nahm das Gepäck wieder auf und schritt schweigend die Straße hin.

Es war Abend geworden; an den Schrofen des Wettersteins leuchtete es wie blutige Gluth. Wir freuten uns, daß die Zeit Menschen und Völker einander näher gerückt und solchem Gewerbe ein Ende gemacht. Jetzt wird auf jenen Straßen und Grenzen nichts mehr geschmuggelt, als hie und da von einem Bauern eine magere Kuh oder von einem Handlungsreisenden im Doppelboden seines Köfferchens eine Partie welscher Seide; früher war vielleicht jeder dritte Mann der Bevölkerung ein Schwärzer, jetzt hat es aufgehört, denn „es trägt das Schuhnageln nicht mehr ein.“ Wir dachten der Zukunft, in welcher manche Schranke gefallen sein wird, die jetzt noch zwischen Menschen aufgerichtet steht und mitunter an die Schäferhürden gemahnt, in welchen jeder Herr seine Schafe einpfercht, um sie besser unter Zucht und Scheere zu haben. Ein großer Zug in der Zeit drängt nach solchem Ziele: sein gedenkend folgten wir dem alten Schwärzer. –