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Neue Musik: Diese 7 Nachwuchs-Musikerinnen liefern den Soundtrack des Sommers

Pünktlich zum Sommeranfang stellen wir sieben hörenswerte Nachwuchstalente vor, die Sie jetzt auf dem Radar haben sollten.
Neue Musik Zum Beispiel von Uche Yara
Auf unserer Sommer-Playlist: Uche YaraMala Kolumna

Neue Musik: Diese Talente sorgen für uns unsere persönlichen Sommerhits 2024

Sie sorgen für die "Sounds Of Summer": In unserem großen Special widmen wir uns einem Duo und fünf aufstrebenden Solokünstlerinnen, die trotz aller Unterschiede wie Herkunft oder Musikstil doch eines vereint: Sie alle erzählen in ihren Songs von weiblichem Empowerment und Stärke, von Selbstliebe und dem Mut, sich über sämtliche Hürden hinwegzusetzen.

So wie das iranische Duo Stereotype, das seine Songs als Selbstmotivation, Protest gegen gesellschaftlichen Missstände und Kampfansage an misogyne Strukturen versteht. Wie die griechische Musikerin Vassiłina, die auf ihrem neuen Album einen Safe Space für Frauen und weiblich gelesene Personen erschafft oder die Münchner Songwriterin Victoryaz, die auf ihrer aktuellen EP vom Umgang mit Depressionen und toxischen Gefühlen spricht. Geschichten, die es wert sind, gehört zu werden.

Zusätzlich haben wir alle Songs aus dem Artikel sowie die momentan angesagtesten Tracks in einem umfangreichen Spotify-Mixtape kuratiert – dieses finden Sie am Ende des Artikels. Wir wünschen viel Freude beim Hören und Neuentdecken!

Neue Musik: Diese 7 talentierten Musikerinnen sollten Sie jetzt auf dem Schirm haben

#1 Natalie Red

Natalie Red

Isac Choi

Sie wurde in Estland geboren, wuchs im benachbarten Finnland auf und zog vor drei Jahren wegen ihres Studiums nach London. Drei Orte, die einen starken Einfluss auf Natalie Reds Songs gehabt haben. "Die Winter sind bei uns im Norden sehr düster; außerdem habe ich eine gewisse baltische Melancholie in mir, die sich auch in meiner Musik und meinem Look wiederfindet. Deswegen komme ich wohl auch mit dem britischen Regenwetter so gut klar", kommentiert die Sängerin, Musikerin und Producerin ihren futuristischen Style aus EDM, Hyper Pop und Hip-Hop-Einflüssen. Wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb sich die 24-Jährige auf aktuellen Fotos eher zugeknöpft zeigt. Um so offener ist sie auf ihrer Debüt-EP "Silence Through These Walls", auf der Natalie Red Themen wie Coming-Of-Age-Nostalgie, Identitätsfindung und persönliche Veränderung verarbeitet.

VOGUE: Die Songs beschreiben Ihre Emotionen nach dem Umzug in Ihre neue Wahlheimat London. Wie haben Sie sich damals gefühlt?

Natalie Red: Sehr einsam. Einerseits brauchte ich Raum, mich kreativ zu entfalten und inspirieren zu lassen. Das wäre in Finnland nicht möglich gewesen. Also bin ich ganz auf mich gestellt umgezogen. In der ersten Zeit habe ich mich gefragt, ob es die richtige Entscheidung war. Alleine in einer riesigen Stadt als junge Erwachsene, die sich selbst erst noch finden musste. Ich hatte keine Ahnung, was die Zukunft bringen würde. Gleichzeitig musste ich mit diversen Trennungen fertig werden; nicht nur von meinem Partner, sondern auch von meinen besten Freund:innen. Statt unser gemeinsames Lachen drang nur noch diese unendliche Stille durch die Wände. Damals habe ich mir mein früheres Leben und diese Unbeschwertheit aus Kindheitstagen zurückgewünscht. Mittlerweile fühle ich mich aber sehr wohl in London.

Wie hat Sie die Stadt verändert?

Ich war immer sehr introvertiert und schüchtern. Im ersten Moment haben mich die neuen Erfahrungen komplett überfordert. In London wird man regelrecht gezwungen, aus seiner Komfortzone auszubrechen. Man muss sehr schnell lernen, sich durchzusetzen, sonst geht man in dieser verrückten Stadt unter. Ich fühle mich heute viel freier, weil dieser Ort jedem Menschen erlaubt, zu sein, wer man will. Und auch die Musikszene hat mir extrem geholfen, als Künstlerin zu wachsen. Nach meinem Umzug habe ich Genres wie Drum & Bass oder UK Garage für mich entdeckt. Seitdem traue ich mich musikalisch viel mehr und auch mein Sound ist viel experimenteller geworden. Und nicht zuletzt habe ich gelernt, meine Gefühle besser in den Songs auszudrücken.

Wie gestaltet sich Ihr musikalischer Schaffensprozess?

Ich schließe die Rollläden, bis um mich herum totale Dunkelheit herrscht. Nur dann kann ich mich völlig in meine mentale Kreativzone zurückziehen und alle Sinne ausschalten. Ich setze meine Kopfhörer auf und versinke vor dem Laptop ganz in meiner eigenen Welt. Die Musik hat mir immer geholfen, wenn es mir schlecht ging. Sie ist mein persönliches Hilfsmittel, um nicht verrückt zu werden. Die Stücke entstehen dabei sehr unterbewusst und folgen ihrem eigenen Flow. In diesen Momenten öffne ich mich und bin in Kontakt mit meinen Dämonen. Und auch meinen Engeln. An manchen Tagen ist die dunkle Seite in mir stärker, an anderen die hellere. Manchmal fängt ein Tag echt anstrengend an, bis die Engel wieder die Oberhand über meine Stimmung gewinnen. Das klingt jetzt depressiver als es eigentlich ist (lacht).

Welche Pläne gilt es für Sie 2024 noch umzusetzen?

Ich experimentiere gerade in Richtungen, in die ich bisher noch nicht so sehr meine Fühler ausgestreckt habe. Es geht mehr in die Storytelling-Ecke. Ich habe gerade einen Song aus der Sicht eines Roboters geschrieben, dem klar geworden ist, dass er eine Maschine ist und nun existenzielle Fragen stellt: Wer bin ich, wer hat mich erschaffen und was ist der Sinn meines Daseins? Fragen, die sehr menschlich sind. Es wird dieses Jahr definitiv noch weitere Tracks von mir geben.

#2 Karin Ann

Karin Ann

Cameron Lindfors

"Ich erkläre meine Songs nicht gerne oder möchte dem Publikum vorschreiben, was es denken oder fühlen soll, wenn es meine Musik hört", so Karin Ann über ihr gerade erschienenes Debütalbum "Through The Telescope". In ihren Stücken beschäftigt sich die ursprünglich aus der Slowakei stammende und seit Kurzem in Los Angeles lebende Sängerin mit der Gleichberechtigung der Geschlechter, Menschenrechten oder dem Aufwachsen als queere Frau in einer konservativen Gesellschaft. Dringende Fragen, die die 22-Jährige in einem bittersüßen Mix aus Folk, Dream Pop sowie ein wenig Rock kanalisiert und mit einer mondänen Art-Deco-Ästhetik der 1920er-Jahre verbindet.

VOGUE: Ihre Songs transportieren eine sehr träumerische Atmosphäre. Wann sind Sie am kreativsten?

Karin Ann: Tatsächlich entsteht der größte Teil meiner Stücke in der Nacht. Ich leide an Schlaflosigkeit. Oft falle ich todmüde ins Bett, doch sobald das Licht ausgeht, fängt mein Hirn an zu arbeiten. Nachts kann ich mich am besten öffnen und der Dunkelheit meine Geheimnisse beichten. Außerdem hatte ich schon immer eine sehr melancholische Seite. Es gibt auf dem neuen Album nur zwei Songs, die in die unbeschwertere Richtung gehen. Es fällt mir seit jeher leichter, Stimmungen wie Trauer oder Weltschmerz auszudrücken. Ich habe lange versucht, dagegen anzukämpfen und nach außen hin so zu tun, als wäre ich eine echte Frohnatur. Doch das bin ich nicht. Aber seit ich gelernt habe, diese Seite an mir zu akzeptieren, geht es mir viel besser.

Der Nachthimmel und die Gestirne scheinen auch den Albumtitel "Through The Telescope" inspiriert zu haben. Was ist die genaue Bedeutung?

Auf dem Album gibt es viele astronomische Metaphern. Ich fühle mich sehr mit dem Mond verbunden, der etwas Geheimnisvolles und Hintergründiges hat. Etwas, was viele Menschen unheimlich finden. Für mich ist der nächtliche Sternenhimmel wie eine warme Decke, unter der ich mich sicher und geborgen fühle. Die Gestirne und der Mond geben mir das Gefühl, nicht alleine zu sein. Auf einer anderen Bedeutungsebene des Albumtitels schaue ich mit einem gewissen Abstand auf mein Leben. Gerade in den letzten Jahren ist so viel bei mir passiert, das ich verarbeiten musste. Durch die Songs werfe ich einen Blick auf verschiedene Versionen meiner Selbst in verschiedenen Abschnitten meines Lebens.

Hat Ihre musikalische Arbeit auch etwas Spirituelles?

Auf jeden Fall. Ich liebe Kristalle und habe eine starke Verbindung zur Natur. Sie gibt mir Kraft und eine gewisse Balance. In der Slowakei war ich oft in den Bergen und Wäldern unterwegs; der Großteil des neuen Albums wurde dort in einer einsamen Blockhütte geschrieben. Seitdem ich in L.A. wohne, sind diese Ausflüge in die Wildnis etwas komplizierter geworden. Ich habe noch keinen amerikanischen Führerschein und verbringe deshalb viel Zeit in meinem Garten. Ich schnappe mir dann meine Gitarre und spiele für die vielen streunenden Katzen, die mir neuerdings Gesellschaft leisten. Und für die Vogelküken, die mir von ihrem Nest in einer kaputten Lampe aus zuhören. An manchen Tagen fühle ich mich wie eine Disney-Prinzessin, die gemeinsam mit den Tieren musiziert...

Sie engagieren sich außerdem für Amnesty International und setzen sich für die Rechte der LGBTQIA+-Community ein. Etwas, das sich auch in Ihren Songs wiederfindet.

Überall auf der Welt scheinen Werte wie Menschenrechte, Menschlichkeit, Toleranz, Akzeptanz und Respekt abzunehmen. Ich wurde schon früh gemobbt – für meine Art mich zu kleiden, zu denken und zu lieben. Als ich mit 16 meine erste Freundin hatte, haben wir uns nicht getraut, öffentlich Händchen zu halten, um nicht beleidigt oder zusammengeschlagen zu werden. Auf dem Song "I Don't Believe In God" geht es auch um religiöse Unterdrückung als Frau. Darum, gesagt zu bekommen, dass man für seine Lebensweise in die Hölle kommt. Dabei sollte der Glaube doch eine Sache der Nächstenliebe und der Toleranz sein. Ich finde es wichtig, offen über diese Dinge zu sprechen und allen Menschen Mut zu machen, sich nicht einschüchtern zu lassen, sondern nach ihrem ganz individuellem Lebensentwurf glücklich zu werden.

#3 Stereotype

Stereotype, bestehend aus Meshcut und Xeen

Ílkin Zeybek

Teheran, Istanbul, Paris: So lauten die bisherigen Stationen des iranischen Duos Stereotype. Im Jahr 2020 gegen sämtliche staatlichen Repressalien gegenüber weiblichen Bands gegründet, verstehen Meshcut (Gesang, Synthies) und Xeen (elektronische Instrumente, Sounddesign, Produktion) ihre Musik als persönliches Ventil, Safe Space und Selbstmotivation, Protest gegen gesellschaftliche Missstände und Kampfansage an misogyne Strukturen. Verpackt in dunkel-atmosphärische Electro-Sounds verarbeitet die mittlerweile in Frankreich beheimatete Formation Themen wie Trauer und Wut, aber auch Resilienz und den Willen zur Veränderung – wie Stereotype auf ihrer neuen EP "Code" zeigen.

VOGUE: Das iranische Regime geht brutal gegen weibliche Selbstverwirklichung vor. Was hat Ihnen den Mut gegeben, dennoch Stereotype ins Leben zu rufen?

Meshcut: Man muss wohl auf positive Art verrückt sein. Wir wussten von Anfang an, dass wir im Iran als Band weder gewünscht sind, noch in irgendeiner Form akzeptiert werden. Ich komme aus der queeren Community in Teheran. Alles, was ich bin, alles, was ich sein möchte, alle meine Pläne bedeuten im Iran ein absolutes No-Go: Musikerin zu sein, eine Frau zu sein, queer zu sein. Trotzdem habe ich mich entschieden, so zu leben, wie ich es für richtig halte. In uns war so viel aufgestaute Wut, die einfach kanalisiert werden musste. Man weiß genau, dass man nichts Unrechtes getan hat, sondern einfach nur wie ein Mensch behandelt werden will. Unser einziges "Verbrechen" ist es, selbstbestimmt leben zu wollen. Doch wenn man etwas verändern möchte, muss man es einfach durchziehen. Dann gibt es keine Alternative. Auch wenn es uns vielleicht eines Tages das Leben kostet.

Trotzdem sehen Sie sich nicht als eine politische Band...

Meshcut: Nein. Fakt ist, dass wir als weibliche Band im Iran gegen so ungefähr alle Gesetze verstoßen. Selbst, wenn man sich als Frau nicht wirklich um Politik kümmert und einfach nur in Ruhe gelassen werden will, ist man durch seine reine Existenz eine Provokation. Obwohl unsere Art zu leben ein Akt des Widerstands ist, wollen wir unsere Musik nicht auf ein politisches Statement reduzieren. Wir haben eine starke Meinung, und genau davor hat das Regime Angst. Aber wir sprechen in den Songs auch über andere Themen wie psychische Probleme, Heimweh oder andere persönliche Dinge.

Der Track "Tehran" ist allen Frauen im Iran gewidmet. Wodurch wurde er inspiriert?

Xeen: Das Stück haben wir für all diejenigen geschrieben, die gesehen, gehört und gebraucht werden wollen. Man spürt genau, dass sich die Vorstellung der Menschen von einer lebenswerten Gesellschaft in den letzten Jahren extrem gewandelt hat. Das instrumentale Grundgerüst des Songs entstand in einer Zeit, als meine Mutter gerade verstorben war und in der ich jede Nacht von meinem Elternhaus und dem Straßengewimmel Teherans geträumt habe. Ich habe probiert, diesen charakteristischen Klang der Stadt einzufangen; irgendwo zwischen Depression und Hoffnung, Härte und Zerbrechlichkeit. Es geht um Zusammenhalt und gegenseitigen Support. Um die Art von Unterstützung, die wir seit unseren Anfangstagen selbst erfahren haben, als unsere Underground-Konzerte regelmäßig von der Polizei aufgelöst wurden. Wir mussten dann unser Zeug zusammenpacken und so schnell wie möglich abhauen. Sie haben alles versucht, um uns aufzuhalten. Doch es ist ihnen nicht gelungen. Dank der Hilfe von so vielen mutigen Menschen.

Wie könnte man die Message Ihrer EP "Code" zusammenfassen?

Xeen: Die Botschaft ist, niemals aufzugeben. Selbst wenn es so scheint, als hätte sich die ganze Welt gegen einen verschworen. Eine Zeit lang war die Musik unser einziger Lebensinhalt, für den wir morgens aufgestanden sind, der uns Sinn gegeben und uns wahrscheinlich durch den schwersten Abschnitt unseres Lebens geholfen hat. Das hat uns geprägt. Wir wissen nicht, wo unser Weg noch hinführt. Bisher war er extrem hart. Aber andererseits auch extrem schön.

#4 Victoryaz

Victoryaz

Thess Riva

Ursprünglich hat Victoria Zapf aka Victoryaz mit dem Songwriting begonnen, um sich ihren Herzschmerz von der Seele zu schreiben. Heute benutzt die 27-jährige Wahl-Münchnerin die Musik, um über ihr gesamtes Gefühlsleben zu berichten. Seit 2020 spricht die Sängerin, Musikerin und Produzentin in ihrem intimen Bedroom-Sound aus Pop, Electronica und R&B auf hintergründige Weise über das, was sie bewegt – so wie auf ihrer gerade erschienenen "Befremdlich"-EP, deren Titel Victoriaz' ganz persönliche Sicht auf die Welt im Jahr 2024 in einem Wort zusammenfasst. Momentan arbeitet sie an ihrem ersten Album.

VOGUE: Nach zwei englischsprachigen EPs sind Sie nun zum ersten Mal auf Deutsch zu hören. Warum dieser Schritt?

Victoryaz: Eigentlich hatte ich ausgeschlossen, jemals auf Deutsch zu schreiben, weil es mir anfänglich einfach nicht lag und ich auch nichts mit deutschsprachigen Künstler:innen anfangen konnte. Stattdessen habe ich mich immer eher im englischen Rap von beispielsweise Jessie Reyez wiedergefunden. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich etwas Neues ausprobieren wollte. Das hat zu meinen ersten Stücken auf Deutsch geführt. Auf diese Weise kann ich ganz anders und viel direkter über viele Dinge sprechen.

Eine Direktheit, in der Sie sich nun mit buchstäblich "befremdlichen" Themen auseinandersetzen...

Ich schreibe über das, was aus mir raus muss. Was mich aufregt oder mich beschäftigt und was ich mit den Leuten teilen möchte. Auf gewisse Art helfen mir die Songs herauszufinden, was in mir vorgeht und meine Gefühle und Erlebnisse einzusortieren. So wie "2 kleine Pillen", auf dem es um Depressionen geht; ein Thema, das immer noch tabuisiert und unter den Teppich gekehrt wird. Schon mit 13 hatte ich schlimme Angstzustände, die mit der Zeit immer stärker wurden. Ich hätte nie gedacht, dass mir Medikamente wirklich helfen könnten. Doch innerhalb von zwei Tagen hat sich diese düstere Wolke verzogen, die ständig über mir hing – verbunden mit der Erkenntnis, dass es ein Leben mit deutlich weniger Ängsten gibt.

Es scheint, als hätte Ihre Musik auch einen starken selbstheilenden Effekt.

Mir ist wichtig, in den Texten absolut aufrichtig zu sein. Auch wenn es manchmal weh tut. Ich habe noch nie etwas geschrieben, das ich nicht gefühlt oder selbst erlebt habe. Oft habe ich eine markante Zeile im Kopf, aus der sich später die Lyrics entwickeln. Beim Schreiben bin ich wie in einer anderen Welt und wundere mich später, wo all diese Gedanken hergekommen sind. Wie eine Art Tunnelblick, der manchmal wirklich krasse Offenbarungen mit sich bringt. So wie bei "Hoffe, dir geht’s mies", das einem Ex "gewidmet" ist oder "Scheiß auf Verzeihen", in dem es um die eigene Familie geht und darum, dass man einfach nicht verstanden wird.

Auf dem Track "Ey, du bist im Showbizz" rechnen Sie in ziemlich deutlichen Worten mit der Musikindustrie ab. Wie befreiend war es, diesen Text zu schreiben?

Extrem befreiend. Ich habe sämtliche negativen Erfahrungen, alle Business-Stereotype und abgedroschenen Phrasen in einem Song zusammengefasst. Von "guten" Ratschlägen, doch mal einen Song im Style von Künstler:in XY zu machen, über die Tatsache, als weibliche Künstlerin oft nicht ernst genommen zu werden, bis hin zu seltsamen Fragen, wie es eigentlich für eine Frau ist, auf der Bühne zu stehen. Ich denke, mit diesem Text werden sich gerade female artists identifizieren können. Obwohl ich gerne ein Teil der Musikszene bin, fühlt es sich oft sehr befremdlich an. Aber ich weiß, was ich will und bin mir völlig darüber im Klaren, dass es ein verdammt harter Weg wird, meine Ziele zu erreichen. Wichtig ist, sich nicht von den Hürden beeindrucken zu lassen und einfach sein Ding zu machen.

#5 UCHE YARA

Uche Yara

Mala Kolumna

Mit ihrer Mischung aus Pop, Rock und Soul hat Uche Yara schon das Publikum auf dem Melt, dem Londoner Pitchfork Festival oder in der Hamburger Elbphilharmonie begeistert und war außerdem gemeinsam mit Bilderbuch im Vorprogramm der Rolling Stones zu sehen - und das mit gerade mal einer Handvoll Songs im Gepäck! Im Mai hat die 21-jährige Oberösterreicherin ihre Debüt-EP "Golden Days" veröffentlicht, mit der sich die heute in Berlin lebende Sängerin und Multiinstrumentalistin eine völlig eigene Nische innerhalb der Alternative Pop-Szene erschafft. Nachdem sie gerade auf einer Headliner-Tournee durch europäische Metropolen zu erleben war, tritt Uche Yara in diesem Sommer erneut auf verschiedenen Open Airs auf, bevor sie im kommenden Herbst wieder ins Aufnahmestudio geht.

VOGUE: Sie sind Songwriterin, Sängerin, Produzentin und spielen alle Instrumente selbst ein. Woher kommt diese konsequente DIY-Mentalität?

Uche Yara: Ich habe mich schon früh an verschiedenen Instrumenten versucht; später in der Schule war das Producing ein wichtiger Teil des Musikunterrichts. So richtig habe ich aber erst während des Lockdowns im Distanzunterricht mit dem Produzieren meiner eigenen Musik begonnen. Man durfte sich mit niemandem treffen, also musste ich gezwungenermaßen alles im Alleingang aufnehmen. Ursprünglich komme ich vom Schlagzeug; in dieser Zeit haben sich meine Stücke von reinen Instrumentals hin zu richtigen Songs entwickelt. Mittlerweile öffne ich mich aber immer mehr und fange an, andere Künstler:innen zu beschnuppern und zu schauen, wie sie arbeiten. Ich bin selbst gespannt, wohin mich das führt.

Wie nähern Sie sich Ihren Songs?

Jedes Stück ist schon fertig in meinem Kopf, bevor ich überhaupt den ersten Ton aufnehme. Oft habe ich innerhalb einer halben bis einer Minute ein komplettes Bild inklusive aller Arrangements und aller Instrumente vor dem inneren Auge, das ich dann versuche, möglichst originalgetreu umzusetzen. Meistens kommen mir die Ideen auf langen Autofahrten, in der U-Bahn oder im Zug, wenn man einfach meditativ vor sich hin starrt. Diese vorbeiziehenden Bilder machen definitiv etwas mit mir. Ich mache mir Voice-Notes auf dem Handy und spiele dann alles Stück für Stück ein. Natürlich verändert sich die Grundidee während des Entstehungsprozesses noch; auch Fehler und Irrwege sind immer ein schönes Geschenk, das in unvorhergesehene Richtungen führt. Wenn das instrumentale Grundgerüst steht, lasse ich mich von der Stimmung des Songs zu den Lyrics inspirieren.

Wobei Ihre Texte oft eher undurchsichtig und interpretationsoffen wirken...

Zu Anfang hatte ich nicht das Bedürfnis, mich innerhalb der Lyrics in einer klassischen Singer/ Songwriter-Manier mitzuteilen. Statt einer konkreten Handlung vermitteln meine Songs eher eine Stimmung und spiegeln die Emotion wider, aus der heraus etwas geschrieben wurde. Die Botschaft ist deshalb hauptsächlich innerhalb der Musik zu finden, in der eine gewisse Selbstbespiegelung stattfindet. Auf der neuen EP habe ich nun begonnen, auch zusammenhängende Geschichten zu erzählen, anstatt nur Gefühle zu transportieren.

So wie auf dem Titeltrack Ihrer "Golden Days"-EP, der eine sehr positive und hoffnungsvolle Einstellung reflektiert. Eine Art Gegenreaktion auf die momentane Weltlage?

Nein. Eher eine unterbewusste Entwicklung, die nichts mit diesen Zeiten zu tun hat. Positivität ist eine meiner natürlichsten Eigenschaften. Etwas, was ich bisher noch nie verloren habe. Ich bin von meinem Wesen her eine "goldene" Persönlichkeit; ich glaube, diese Energie kann man auch bei meinen Konzerten sehen und vielleicht sogar mit nach Hause nehmen. Für mich ist das Wichtigste, authentisch zu sein. Der Song "Golden Days" spiegelt wider, trotz allem bei sich zu bleiben und das eigene Feuer lebendig zu halten. Er entstand direkt nach meinem Abi und handelt im Grunde von Abschieden. Und von neuen Anfängen.

#6 Vassiłina

Vassiłina

Costas Simos

Vassiłina liebt das Spiel mit Symbolen und Metaphern, wie sie auf ihrem gerade erschienenen Album "Femmeland" zeigt. Inspiriert von der griechischen Mythologie widmet sich die zwischen London und Athen pendelnde Sängerin, Songwriterin, Musikerin und Produzentin der sagenumwobenen Zauberin Kirke, deren Geschichte die 30-Jährige mit ihrer eigenen Biografie verknüpft. Zu einem ätherischen Hybrid-Sound aus moderner Electronica und atmosphärischem Pop Noir erzählt sie von ihrer ganz persönlichen Odyssee: Einer von Transformation und Veränderung geprägten Reise hin zu neu gefundener Stärke, Selbstheilung und Selbstakzeptanz.

VOGUE: Was gab Ihnen den Ausschlag, sich auf Ihrem neuen Album von der griechischen Sagenwelt inspirieren zu lassen?

Vassiłina: Wenn man in Griechenland aufwächst, ist man von kleinauf von antiken Sagen und Mythen umgeben. In der Schule, im täglichen Leben, ganz egal wohin man auch schaut. Fast jeder Stein hat eine Historie. Das Problem ist, dass all diese Geschichten von Männern geschrieben wurden. Mich hat die andere, die weibliche Seite interessiert. Also begann ich mit Nachforschungen über Kirke, die Tochter von Sonnengott Helios und der Nymphe Perseis. Sie wird in alten Schriften größtenteils als böse Hexe dargestellt, was aber nur eine Seite der Medaille abbildet. Je mehr ich über sie herausfand, desto stärker hat mich ihr Wesen fasziniert und desto mehr habe ich mich mit ihr identifiziert.

Welche Gemeinsamkeiten haben Sie entdeckt?

Kirke war eine mächtige Zauberin und eine Göttin, die ein selbstbestimmtes Leben geführt und der Männerwelt durch ihre Eigenständigkeit Angst gemacht hat. Sie konnte Menschen in zahme Tiere verwandeln; allerdings nur, wenn sie bedroht wurde und sich verteidigen musste. Deswegen wurde sie von der Gesellschaft missverstanden und gefürchtet. Kirke hatte außerdem eine sehr liebevolle und sanfte Seite, die oftmals verschwiegen wird. Schon immer wurden starke Frauen als Hexe an den Pranger gestellt oder verbrannt. Diese Misogynie ist heute noch die gleiche, nur in anderen Formen. Dieses Album ist eine Art Tagebuch, in dem ich meine Erlebnisse als moderne Frau verarbeite.

Mit "Femmeland" schaffen Sie nun einen imaginären Safe Space; wobei der gleichnamige Titelsong von sehr realen und tragischen Umständen beeinflusst wurde...

Der Text entstand nach einer ganzen Serie von Femiziden hier in Griechenland. Nachdem ich wieder von London nach Athen gezogen war, fühlte auch ich mich ständig bedroht. "Femmeland" ist ein sicherer Phantasie-Ort, an dem alle Frauen und weiblich gelesenen Personen Zuflucht und Geborgenheit erfahren können. Ein Platz, seine Traumata zu verarbeiten und Heilung zu finden. Der Song ist als Tribut an alle meine Freundinnen und meine ganze weibliche Community gedacht. Wenn ich bei meinen Shows ins Publikum schaue und sehe, wie sich Frauen zu meiner Musik feiern, ist das pures Empowerment. Und auch der Clip entstand mit Beiträgen meiner Fans.

Ein Empowerment, das sich durch Ihre ganze Kunst zieht: Musikalisch, visuell, inhaltlich.

Ich habe immer Stärke im Umgang mit anderen Frauen gefunden. Bis heute arbeite ich gerne mit anderen Künstlerinnen zusammen. Obwohl ich mich als Feministin definiere und für mich jede Art von Kunst auf gewisse Weise ein politisches Statement ist, betrachte ich mein Schaffen nicht als einen aktivistischen Akt. Dieses Album ist eine Reise zu mir selbst. An einen Punkt, an dem ich gelernt habe, mich so zu akzeptieren wie ich bin. Mit all meinen Stärken, aber auch mit meinen Fehlern und Schwächen. Ich schließe ein Kapitel meines Lebens und bin nun bereit, den nächsten Schritt zu machen.

"Sounds Of Summer" - die brandneue VOGUE Germany-Playlist auf Spotify

Alle Songs aus diesem Artikel sind auch in der neuen VOGUE Germany "Sounds Of Summer"-Playlist zu finden.

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