Anderl von Rinn

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Der Anderl (Andreas) Oxner von Rinn war einer Ritualmord-Legende nach ein dreijähriger Junge, der angeblich am 12. Juli 1462 im Nordtiroler Dorf Rinn von ortsfremden Juden im Zuge eines Rituales ermordet wurde.

Im Jahr 1475 sollen die Gebeine des Kindes, angeregt durch den angeblichen jüdischen Kindsmord an Simon von Trient, in die Pfarrkirche von Rinn überführt worden sein. Die eigentliche Legende vom Ritualmord entstand allerdings erst im Jahr um 1620 durch den damaligen Arzt am adeligen Damenstift in Hall, Hippolyt Guarinoni. Er soll von dem Mord gehört haben und verfasste daraufhin im Jahr 1642 ein Buch über den Vorfall: "Triumph Cron Marter Vnd Grabschrift des Heilig Unschuldigen Kindts". Der angebliche Tatort, der Judenstein bei Rinn, wurde daraufhin zum Wallfahrtsort und damit zu einem Beispiel des Antijudaismus in der katholischen Kirche.

1753 erlaubte Papst Benedikt XIV. die Verehrung des Anderl. Durch Volksschauspiele, die auf den Schriften von Guarinoni basierten und bis ins Jahr 1954 veranstaltet wurden, verbreitete sich die judenfeindliche Legende. Die Brüder Grimm veröffentlichten die Legende im Jahre 1816 in ihrem ersten Band deutscher Sagen. 1893 erschien die Schrift „Vier Tiroler Kinder, Opfer des chassidischen Fanatismus“ des Wiener Geistlichen Joseph Deckert, mit welcher er die Legende weiter am Leben hielt und auch für die modernen Formen des Antisemitismus dienstbar machte.

Der Festtag des „Anderl von Rinn“ wurde schließlich 1953 vom Innsbrucker Bischof Paulus Rusch aus dem kirchlichen Kalender getilgt. 1985 wurden die angeblichen Gebeine des Kindes aus der Pfarrkirche entfernt. 1994 wurde der Kult um den Judenstein von Bischof Reinhold Stecher offiziell verboten.

Trotz dieses Verbotes findet nach wie vor alljährlich eine Wallfahrt zum Judenstein bei Rinn statt, die in engem Zusammenhang mit der rechtsextremen Szene steht.

Literatur

  • Rainer Erb: „Es hat nie einen jüdischen Ritualmord gegeben“. Konflikte um die Abschaffung der Verehrung des Andreas von Rinn. Wien 1989
  • Bernhard Fresacher: Anderl von Rinn. Ritualmordkult und Neuorientierung in Judenstein 1945–1995. Innsbruck und Wien 1998, ISBN 3-7022-2125-5
  • Andreas Maislinger und Günther Pallaver: Antisemitismus ohne Juden - Das Beispiel Tirol. In: Wolfgang Plat (Hg.), Voll Leben und voll Tod ist diese Erde. Bilder aus der Geschichte der Jüdischen Österreicher. Herold Verlag, Wien 1988. ISBN 3-7008-0378-8
  • Ingrid Strobl: Anna und das Anderle. Eine Recherche. Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-596-22382-2