Ingrid Strobl

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Ingrid Strobl (* 6. April 1952 in Innsbruck; † 25. Jänner 2024 in Köln) war eine österreichische Journalistin, Buchautorin und Dokumentarfilmerin. Von 1979 bis 1986 war sie Redakteurin der Zeitschrift Emma. Strobl forschte und publizierte über Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutsch besetzten Europa mit einem Schwerpunkt auf jüdischen Widerstand.

Ingrid Strobl studierte Germanistik und Kunstgeschichte an den Universitäten Innsbruck und Wien. Sie wurde 1978 mit der Dissertation Rhetorik im Dritten Reich an der Universität Wien promoviert.[1] Während des Studiums engagierte sie sich in der Neuen Frauenbewegung. Sie arbeitete zunächst freiberuflich beim ORF in Wien, zog 1979 nach Köln und war von 1979 bis 1986 Redakteurin der Zeitschrift Emma. 1986 machte sie sich als freie Autorin selbstständig und war unter anderem für den WDR tätig.[2]

1987 wurde Strobl von einem Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) in einem Fernsehbericht über die Emma-Redaktion als eine Frau auf einem Überwachungsvideo erkannt. Das Video stammte aus einer Fahndungsmaßnahme gegen die terroristische Organisation Revolutionäre Zellen. Strobl war dabei gefilmt worden, wie sie einen vom BKA präparierten Wecker kaufte. Dessen markierte Teile wurden in den Überresten einer Bombe gefunden, die 1986 am Verwaltungsgebäude der Lufthansa in Köln explodiert war.[3]

Strobl wurde als Terrorismusverdächtige in Untersuchungshaft genommen und im Juni 1989 wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion zu fünf Jahren Haft verurteilt. Sie habe Sextourismus nicht nur in Wort und Schrift angeprangert, sondern ihr Engagement auch in die Tat umgesetzt und beim Anschlag gegen die Lufthansa geholfen. Von Dezember 1987 bis zu ihrer Freilassung im Mai 1990 war sie in Isolationshaft.[2]

Strobl erfuhr öffentliche Solidarität. Zu den Erstunterzeichnern eines von der Emma initiierten Appells „Freiheit für Ingrid Strobl“ gehörten Elfriede Jelinek, Dieter Hildebrandt und Jan Philipp Reemtsma.[4] In Köln demonstrierten 10.000 Menschen. In einer Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof im Mai 1990 hoben die Richter das Urteil laut Spiegel „in entscheidenden Punkten“ auf und verwiesen zurück an das Oberlandesgericht Düsseldorf.[5] Wegen Beihilfe zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion wurde sie dort zu drei Jahren Haft verurteilt. In Anrechnung der Untersuchungshaft wurde die noch nicht verbüßte Reststrafe von sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt.

In ihrem 2020 erschienenen autobiografischen Buch Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich bekennt sie, gewusst zu haben, dass der Wecker für einen Sprengstoffanschlag gedacht war, und reflektiert ihren politischen Aktivismus und die Haftzeit.[2][6]

Ingrid Strobl starb am 25. Jänner 2024 im Alter von 71 Jahren in Köln.[7] In ihrem Nachruf schrieb Doris Akrap, Ingrid Strobl habe sich Zeit ihres Lebens mit der Geschichte der Frauen beschäftigt und unermüdlich recherchiert und publiziert. Nach ihrem Gefängnisaufenthalt habe sie sich nicht weiter mit sich selbst beschäftigt, sondern die Schicksale anderer Frauen in den Vordergrund gestellt.[8] Strobl habe immer gekämpft „wie eine wahre Heldin“, schrieb Roland Kaufhold. Es sei vor allem ihr Verdienst, dass es Wissen über den jüdischen Widerstand in Deutschland überhaupt gibt. Als ihre „vielleicht bedeutsamste“ Leistung nennt er die Übersetzung von Chaika Grossmans Werk Die Untergrundarmee. Der jüdische Widerstand in Bialystok.[9] Christopher Wimmer würdigte zudem ihre Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und Antizionismus in der radikalen Linken.[10]

Strobl schrieb Sachbücher und Romane, Kurzgeschichten, Hörfunkfeatures und drehte Dokumentarfilme. Die Schwerpunkte ihrer publizistischen Arbeit waren frauenspezifische Themen.

In den 1980er und 1990er Jahren recherchierte Strobl zur Geschichte von Frauen im Widerstand gegen den Holocaust und die deutsche Besatzung. Sie legte dazu zwei Monografien vor. In der Untersuchungshaft schrieb sie das Buch „Sag nie, du gehst den letzten Weg.“ Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung (1989). In zwei Kapiteln, Widerstand in Westeuropa und Jüdischer Widerstand in Osteuropa, trug sie Lebensgeschichten von Partisaninnen, Jüdinnen und Kommunistinnen im militanten Widerstand zusammen, die von der offiziellen Geschichtsschreibung übergangen wurden, wie die der Niederländerin Hannie Schaft, das „Mädchen mit den roten Haaren“.[11]

Das Buch steht nach Der weibliche Name des Widerstands (1980) von Marie-Thérèse Kerschbaumer in einer Reihe von dokumentarischen Büchern über weiblichen Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus, die erst in den 1980er Jahren in der Folge der neuen Frauenbewegung entstanden.[12] Es widerspricht dem Vorwurf, Frauen hätten nur passiven (karitativen) Widerstand geleistet, und dem Bild eines herkömmlichen Weiblichkeitsverständnisses. Im letzten Kapitel des Buchs Der Weg in den bewaffneten Widerstand schreibt Strobl: „Wenn Frauen sogar fähig waren, die an allen Fronten siegreiche deutsche Armee zu bekämpfen, die allmächtige und grausame Gestapo in Angst und Schrecken zu versetzen, dann sind Frauen womöglich fähig, sich auch gegen weniger bedrohliche Gegner zur Wehr zu setzten,[…] dann verblaßt womöglich das Bild vom schwachen Geschlecht, das vom Manne beschützt werden muß“.[13]

Das zweite Buch zu dem Thema ist die 1998 erschienene vergleichende Studie Die Angst kam erst danach über jüdische Frauen im Widerstand zwischen 1939 und 1945. Strobl zeigt anhand von Beispielen aus fünf Ländern „spezifische Formen des weiblichen Widerstands“, zeichnet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten nach und folgt den überlebenden Frauen auch in der Nachkriegszeit. Dabei stehen zwei Merkmale im Vordergrund: das Jüdische und das Weibliche. Neben schriftlichen Quellen wie Briefe, Tagebücher und Dokumente führte Strobl circa 60 Interviews mit Überlebenden.[14]

Strobl übersetzte aus dem Englischen den autobiografischen Bericht von Chaika Grossman Die Untergrundarmee über den jüdischen Widerstand in Bialystok und schrieb dazu das Vorwort. Ihr Dokumentarfilm „Mir zeynen do!“. Der Ghettoaufstand und die Partisaninnen von Bialystok[15][16] liegt in hebräischer Übersetzung auch in den Archiven Yad Vashem und Beit Lochamej haGeta’ot vor. 1995 kuratierte sie zusammen mit Arno Lustiger und Georg Heuberger die Ausstellung Im Kampf gegen Besatzung und „Endlösung“. Widerstand der Juden in Europa 1939–1945 für das Jüdische Museum Frankfurt.[17]

In dem Sachbuch Es macht die Seele kaputt von 2006 porträtierte Strobl drogenabhängige Frauen, die sich auf dem Straßenstrich prostituieren. Sie vermittle einen „realistischen Einblick in das Leben von Junkiefrauen“, ihr Buch sei „sensibel, hintergründig und niemals voyeuristisch“ befand die Rezension in der Frankfurter Rundschau.[18]

Veröffentlichungen

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Hörfunkfeatures

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  • 2013: Old Man Prison Blues – Regie: Thom Kubli (WDR, 52 Min.)[20]
  • 2018: Eine Hommage an Chaika Grossmann (SWR2, ARD Audiothek)[21]
  • 2020: Gesellschaftliche Aufsteiger – Leben zwischen den Welten (SWR2-Hörfunk)[22]

Dokumentarfilme für den WDR

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  • 1995: „Sag keinem, wer du bist“. Die Rettung jüdischer Kinder in Belgien.
  • 1997: Chasias Kinder. Vom Überleben jüdischer Kinder in Polen.
  • 1999: Die anderen Heimkehrer. Die Rückkehr der Emigranten nach Deutschland.[23]
  • 2000: Sie kamen und sie blieben.[24]
  • 2002: Die Geschichte der Neuen Frauenbewegung.
  • 2004: Die Geschichte der ökologischen Bewegung.

Einzelnachweise

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  1. Gert Ueding, Bernd Steinbrink: Grundriss der Rhetorik, 2. Aufl., Metzler Verlag, Stuttgart, ISBN 978-3-476-00557-1, Literaturverzeichnis S. 392
  2. a b c Interview von Doris Akrap: Ich wusste, wofür der Wecker war. taz, 29. März 2020
  3. Bertolt Hunger, Ansgar Siemens: Knockout für die Feierabendterroristen. Spiegel online – eines Tages, 18. Dezember 2019
  4. Streit um Emma–Appell für Strobl, Taz, 29. Jänner 1988
  5. Erst mal wegschließen. In: Der Spiegel. Nr. 21, 1990 (online).
  6. Oliver Pfohlmann: Wie war das damals, im Knast? Und was hat die Haft aus mir gemacht? – Vor dreissig Jahren wurde Ingrid Strobl als Terrorismusverdächtige verhaftet, heute denkt sie nach über Widerstand und Terror, NZZ, 25. Juni 2020
  7. Traueranzeige für Ingrid Strobl | WirTrauern. Abgerufen am 3. Februar 2024.
  8. Doris Akrap: Nachruf auf Ingrid Strobl. Die Pionierin mit dem Wecker, TAZ, 4. Februar 2024
  9. Roland Kaufhold: „Da hast immer gekämpft wie eine wahre Heldin“, Hagalil, 5. Februar 2024
  10. Christopher Wimmer: Ingrid Strobl: Wenn man nicht fallengelassen wird, nd, 5. Februar 2024
  11. Rezension. Ute Bertrand: „Sag nie, du gehst den letzten Weg“, Taz, 20. Oktober 1989
  12. Sigrid Lange: Dokument und Fiktion: Marie-Thérèse Kerschbaumers Der weibliche Name des Widerstands. In: Women in German Yearbook, 10/1994, University of Nebraska Press, S. 204 (JSTOR Preview)
  13. Zitiert von Kontanze Hanitzsch: Frauen im antifaschistischen Widerstand im Dritten Reich, Online-Portal Zukunft braucht Erinnerung, 28. Oktober 2004
  14. Rezension von Sabine Happ in: Querelles-net
  15. Im Widerstand, Taz am Wochenende, 28. August 1993
  16. „Mir zeynen do!“. Der Ghettoaufstand und die Partisaninnen von Bialystok. Eine Dokumentation von Ingrid Strobl, Deutschland 1992 (87 Min.), Gedenkstätte Deutscher Widerstand, 22. März 2009
  17. Zeitschrift Exil, hrsg. Edita Koch, Ausgabe 15/16, Exilverlag, Frankfurt 1995, S. 93
  18. Raphaela Kula: Und die Seele bleibt auf der Strecke, Frankfurter Rundschau, 21. Juni 2006
  19. Rezension. Giftiger Schlamm, Tiroler Wurzeln, taz. die tageszeitung, Ausgabe 4559, S. 17, 2. März 1995
  20. Old Man Prison Blues, Deutschlandradio, 12. April 2014
  21. Eine Hommage an Chaika Grossmann, 16. April 2018
  22. Ingrid Strobl: Gesellschaftliche Aufsteiger – Leben zwischen den Welten, SWR2, 17. Dezember 2020
  23. Die anderen Heimkehrer – Jüdische Emigranten,Deutschland 1999, 29 min. Produktion: WDR. Datenbank Köln im Film e. V.
  24. Sie kamen und sie blieben, Deutschland 2000, 28 min, Produktion: WDR. Datenbank Köln im Film e. V.