Michael Verhoeven

deutscher Filmregisseur (1938–2024)

Michael Alexander Verhoeven (* 13. Juli 1938 in Berlin; † 22. April 2024) war ein deutscher Schauspieler, Filmregisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent. Er wurde mit Filmen wie Die weiße Rose oder Das schreckliche Mädchen auch international erfolgreich.

Michael Verhoeven, 2009
Michael Verhoeven mit Ehefrau Senta Berger, 2013

Michael Verhoeven wuchs erst in Berlin und dann in München auf. Er war Sohn der Schauspielerin Doris Kiesow (1902–1973) und des Schauspielers und Regisseurs Paul Verhoeven (1901–1975), Bruder von Lis Verhoeven (1931–2019), zwischenzeitlich Schwager des Schauspielers Mario Adorf und Onkel der Schauspielerin Stella Maria Adorf.

Von 1966 bis zu seinem Tod war er mit der Schauspielerin Senta Berger verheiratet. Die beiden lernten sich 1960 auf der Berlinale kennen und spielten 1963 gemeinsam vor der Kamera im Film Jack und Jenny, wo er sie in einer Szene küssen sollte.[1] Während der Dreharbeiten verliebten sich die beiden.[2] Aus der Verbindung gingen die Söhne Simon Vincent (* 1972) und Luca Paul (* 1979) hervor. Die Kinder traten in die Fußstapfen der Eltern, so ist Simon Verhoeven Regisseur und Drehbuchautor und Luca Verhoeven Produzent. Beide Söhne begannen als Schauspieler und arbeiten auch im Familienunternehmen Sentana Filmproduktion.

Verhoeven lebte im oberbayerischen Grünwald. Er starb im April 2024 im Alter von 85 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit.[3] Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof (Grabfeld 9a) von Grünwald.[4]

Karriere

Bearbeiten

Michael Verhoeven begann seine Künstlerkarriere als Neunjähriger in Theaterstücken (u. a. einer Bühnenadaption von Pünktchen und Anton nach Erich Kästner, einem Freund der Familie,[1]) und spielte anschließend in Filmen der 1950er Jahre (so in Kästners Das fliegende Klassenzimmer, Der Jugendrichter und Der Pauker mit Heinz Rühmann).

Als junger Erwachsener entschloss er sich aber gegen den Willen seiner Eltern, die ihm die Fortsetzung der Schauspielkarriere nahelegten, Medizin zu studieren. Er promovierte 1969 mit einer Arbeit über Psychiatrische Maskierung von Gehirntumoren unter besonderer Berücksichtigung irreführender Befunde zum Dr. med. und arbeitete einige Jahre als Arzt – unter anderem in den USA, wohin er seiner Frau Senta Berger gefolgt war, die dort in Hollywoodfilmen mitspielte.

1965 Jahre gründete er gemeinsam mit ihr in München die Sentana Filmproduktion GmbH und begann, als Regisseur Filme zu drehen[5] – angefangen mit Paarungen nach August Strindbergs Der Totentanz. Es folgten im Auftrag des Produzenten Rob Houwer zwei leichtere und freizügige Schwabing-Komödien Engelchen macht weiter – hoppe, hoppe Reiter mit Mario Adorf in der Hauptrolle (1968) und Der Bettenstudent (1969).

Sein politischer und experimenteller Anti-Vietnamkrieg-Film o.k. sorgte als Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale 1970 für einen großen Skandal, der dazu führte, dass der Wettbewerb abgebrochen wurde und ohne Preisverleihung blieb.[1] Danach wurde das Reglement der Berlinale reformiert.[6] o.k. gewann anschließend beim Deutschen Filmpreis das Filmband in Gold.

In den 1970er Jahren arbeitete Verhoeven verstärkt für das deutsche Fernsehen, u. a. als Regisseur des frühen Tatort: Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer. Nachdem er 1972 zum ersten Mal Vater geworden war, schrieb und inszenierte er 1975 die anarchische Kinderserie Krempoli, in der er selbst einen Gastauftritt vor der Kamera übernahm und nebst Senta Berger auch seinen Vater Paul Verhoeven und seine Schwester Lis Verhoeven besetzte.[7] 1980 drehte er mit Otto Sander den Fernsehfilm Die Ursache.

1982 verfilmte er die Geschichte der Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime, die Geschwister Scholl, in Die weiße Rose. Das Auswärtige Amt verbot damals offizielle Vorführungen im Ausland, als sich Verhoeven gegen die Aufforderung von Staatsseite weigerte, einen kritischen Kommentar aus dem Nachspann zu streichen.[8] Der Film gewann beim Deutschen Filmpreis das Filmband in Silber. Der von ihm geschriebene und inszenierte Film Das schreckliche Mädchen (1990) erhielt den Silbernen Bären der Berlinale, den BAFTA als Bester fremdsprachiger Film sowie eine Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film. Außerdem gewann er den Preis des New York Film Critics Circle als Bester fremdsprachiger Film. Das schreckliche Mädchen lief für einen deutschen Film erfolgreich im US-Kino. Diese beiden Filme und weitere, die sich mit der Aufarbeitung des Dritten Reichs beschäftigen, sorgten dafür, dass Michael Verhoeven zu einem der wichtigsten politischen deutschen Filmemacher wurde.

Dem gesamtdeutschen Fernsehpublikum wurde Verhoeven bekannt durch seine Serie Die schnelle Gerdi sowie deren Fortsetzung Die schnelle Gerdi und die Hauptstadt über eine Münchner Taxifahrerin, gespielt von Senta Berger.[9] Er inszenierte seine Frau auch in der Miniserie Lilli Lottofee (1992).

Seit 1992 war Michael Verhoeven Eigentümer des Kino Toni am Antonplatz in Berlin, das er im Januar 2018 verkaufte. Nach langen Verhandlungen mit der Treuhand kaufte Verhoeven 1995 auch ein Gebäude im Stadtbezirk Prenzlauer Berg und errichtete in dem zuletzt leerstehenden Olympia-Filmtheater zusammen mit der Yorck Kino GmbH neue fünf Kinosäle des Filmtheater am Friedrichshain. Auch diese Immobilie hat er später verkauft.

1995 inszenierte er Mutters Courage nach dem autobiografischen Theaterstück von George Tabori, der sich im Kinofilm selbst spielt. Sohn Simon Verhoeven übernahm darin eine Rolle und komponierte auch die Filmmusik. 2000 schrieb und inszenierte Verhoeven den kontroversen Fernsehfilm Enthüllung einer Ehe, in dem es um das damals noch tabuisierte Thema Transgeschlechtlichkeit geht. Dafür gewann er 2001 den Robert-Geisendörfer-Preis sowie 2 FIPAs beim Festival International de Programmes Audiovisuels in Biarritz.

Jeweils zusammen mit Senta Berger wurde er 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz und 2002 mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet. 2005 erhielt Verhoeven den Marion-Samuel-Preis, der besonders wirkungsvolle Weisen gegen das Vergessen, Verdrängen und Relativieren der von Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen auszeichnet.

Im Jahr 2000 drehte Verhoeven seinen ersten Dokumentarfilm: Der Fall Liebl – Ein Bayer in Togo, über einen Spätaussiedler, der sich mit der deutschen Bürokratie nicht auskannte und dem drohte, abgeschoben zu werden. 2006 erschien nach siebenjähriger Arbeit sein zweiter Dokumentarfilm Der unbekannte Soldat über Reaktionen zur Wehrmachtsausstellung.[10] In seinem 2008 erschienenen Dokumentarfilm Menschliches Versagen befasste sich Verhoeven mit der Frage, in welchem Ausmaß die deutsche Zivilbevölkerung von der Entziehung von jüdischem Vermögen in der NS-Zeit profitierte.[11] In seinem 2011 in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk entstandenen Dokumentarfilm Die zweite Hinrichtung – Amerika und die Todesstrafe befasst sich Verhoeven mit dem Schwerverbrecher afroamerikanischer Herkunft Romell Broom und dessen Hinrichtung am 15. September 2009 in Lucasville, Ohio, die 18-mal misslang und schließlich abgebrochen wurde.

Seine letzte Regie- und Drehbucharbeit Let’s go! adaptierte 2014 den autobiografischen Roman Von Zuhause wird nichts erzählt von Laura Waco über ihre jüdische Familie im München der Nachkriegszeit.

2015 koproduzierte er mit seiner Sentana Film Willkommen bei den Hartmanns;[9] Drehbuch, Regie und Koproduktion: Sohn Simon Verhoeven, Hauptrolle: Gattin Senta Berger. Diese kritische Komödie zum Thema Flüchtlingskrise wurde der erfolgreichste deutsche Kinofilm des Jahres (3,8 Mio. Zuschauer) und gewann unter anderem den Deutschen Filmpreis, den Bayerischen Filmpreis, den Friedenspreis des Deutschen Films und den Bambi.[12]

An der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg wurde er in den 1990er Jahren Professor und gab so sein fachliches Wissen an den Nachwuchs weiter. Verhoeven war 2003 eines der Gründungsmitglieder der Deutschen Filmakademie.

Filmografie (Auswahl)

Bearbeiten

Schauspiel

Bearbeiten

Fernsehen

Bearbeiten

Regie, Drehbuch und Produktion

Bearbeiten

Fernsehen

Bearbeiten
  • 1970: Der Kommissar: Dr. Meinhardts trauriges Ende
  • 1972: Tatort: Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer
  • 1973: Sonja schafft die Wirklichkeit ab oder … ein unheimlich starker Abgang – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 1974: Krempoli – Ein Platz für wilde Kinder (Fernsehserie) (auch Drehbuch)
  • 1975: Die Herausforderung: Rest des Lebens - TV-Film
  • 1976: MitGift – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 1977: Bier und Spiele (14-teilige Fernsehserie)
  • 1977: Das Männerquartett - TV-Film
  • 1978: 1982: Gutenbach – TV-Film
  • 1978: Freundinnen (Fernsehreihe) Folge: Edith und Marlene
  • 1979: Verführungen – TV-Film
  • 1980: Am Südhang – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 1980: Die Ursache – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 1982: Die Mutprobe – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 1983: Liebe Melanie – TV-Film
  • 1984: Das Tor zum Glück – TV-Film
  • 1986: Stinkwut – TV-Film
  • 1986: Gegen die Regel – TV-Film
  • 1987: Gundas Vater – TV-Film
  • 1988: Semmelweis, Ignaz – Arzt der Frauen – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 1989: Die schnelle Gerdi – Fernsehserie (auch Drehbuch)
  • 1990: Das Mädchen und die Stadt – TV-Film
  • 1990: Schlaraffenland – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 1992: Lilli Lottofee – Mini-Serie (auch Drehbuch)
  • 1993: Eine unheilige Liebe – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 1998: George Tabori – Theater ist Leben (TV-Dokumentarfilm)
  • 1999: Zimmer mit Frühstück – TV-Film
  • 2000: Der Fall Liebl – Dokumentarfilm
  • 2000: Enthüllung einer Ehe – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 2002: Die kleine Schwester. Die Weiße Rose – ein Vermächtnis – Dokumentarfilm
  • 2004: Die schnelle Gerdi und die Hauptstadt – Fernsehserie (auch Drehbuch)
  • 2005: Tatort: Die Spieler
  • 2008: Bloch: Vergeben, nicht vergessen
  • 2012: Bloch: Heißkalte Seele
  • 2013: Bloch: Die Lavendelkönigin
  • 2014: Glückskind – TV-Film (auch Drehbuch)
  • 2014: Let’s go! – TV-Film (auch Drehbuch)

Auszeichnungen

Bearbeiten
 
Michael Verhoeven (links) 1971 bei einem Empfang des deutschen Bundeskanzlers

Schriften

Bearbeiten
  • Psychiatrische Maskierung von Gehirntumoren : Unter bes. Berücks. irreführender Befunde. Dissertation. München 1969 (d-nb.info).
  • mit Mario Krebs: Der Film "Die weisse Rose". Drehbuch. von Loeper, Karlsruhe 1982, ISBN 978-3-88652-750-2.
  • mit Mario Krebs: Die Weiße Rose : Der Widerstand Münchner Studenten gegen Hitler. Informationen zum Film. FISCHER Taschenbuch, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-596-30467-7 (dnb.de).
  • Paul, ich und wir. Die Zeit und die Verhoevens. Ullstein Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-550-07860-9.
  • Liebe Melanie : Hintergründe zu dem ZDF-Fernsehfilm. FISCHER Taschenbuch, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-596-30435-6.

Literatur

Bearbeiten

Filmdokumentation

Bearbeiten
  • Die Verhoevens. Dokumentarfilm von Felix Moeller, Deutschland 2003, 75 Minuten
Bearbeiten
Commons: Michael Verhoeven – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b c Klaus Pokatzky: Filmregisseur Michael Verhoeven – Der unbequeme Wahrheitssucher. (Interview) In: deutschlandfunkkultur.de. 13. Juli 2018, abgerufen am 26. April 2024.
  2. Dona Kujacinski: Senta Berger im Interview: Schauen Sie gern in den Spiegel? 1. März 2009, abgerufen am 26. April 2024.
  3. Moritz Holfelder: Filmemacher Michael Verhoeven gestorben. In: br.de. 26. April 2024, abgerufen am 26. April 2024.
  4. Klaus Nerger: Das Grab von Michael Verhoeven. In: knerger.de. Abgerufen am 16. Mai 2024.
  5. Deutschlandfunk: Zwischentöne - Der Filmregisseur Michael Verhoeven im Gespräch mit Klaus Pilger, 31. Januar 2016
  6. a b Bayerischer Rundfunk: Filmregisseur Michael Verhoeven im Porträt. In: br.de, 26. Juni 2012.
  7. Krempoli - Ein Platz für wilde Kinder. In: Bayerische Kultserien. Abgerufen am 26. April 2024.
  8. Filmregisseur: Verhoeven, Michael. In: Bayerischer Rundfunk. 24. Juni 2013, abgerufen am 26. April 2024.
  9. a b dpa: Ein kritischer Mahner : Regisseur Michael Verhoeven wird 85. In: Die Zeit. 13. Juli 2023, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 1. Februar 2024]).
  10. https://web.archive.org/web/20130531035855/http://www.3sat.de/page/?source=/ard/sendung/137042/index.html
  11. Menschliches Versagen. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 5. Oktober 2016.
  12. Frank Bauer (Fotos): Sagen sie jetzt nichts, Michael Verhoeven. In: sueddeutsche.de. 19. März 2017, abgerufen am 26. April 2024.