Tullio Vinay

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Königin Juliana und Tullio Vinay (1967)

Tullio Vinay (* 13. Mai 1909 in La Spezia, Ligurien; † 2. September 1996 in Rom) war ein italienischer waldensischer Pfarrer, evangelischer Theologe, Gründer zweier diakonischer Zentren und Politiker im italienischen Senat.[1]

Vinay war das dritte Kind des baptistischen Lehrers Pietro Giosuè Vinay aus Villasecca im Val Chisone, Piemont, und der Iside Saccomani. Er hatte drei Brüder, Valdesina, Valdo und Cornelio, und wuchs in Triest und in Torre Pellice im Piemont auf, wo sie die methodistische und waldensische Kirche besuchten. Sein Studium der evangelischen Theologie absolvierte er an der waldensischen Fakultät[2] in Rom und am New College in Edinburgh. Nach einem einjährigen Vikariat in Mailand wurde er als Pfarrer in Florenz eingesetzt. Von 1934 bis 1946 war er Pfarrer der Waldensergemeinde in Florenz. In dieser Zeit versteckte er Juden und Antifaschisten in seiner Wohnung, später auch Exfaschisten.

Vinay war Sekretär der Federazione delle Unioni Valdesi (deutsch: Zusammenschluss der Waldenserverbände), er gab die Zeitung Gioventù Evangelica (Evangelische Jugend) und organisierte Jugendlager vorwiegend bei Prali im Valle Germanasca im Piemont.[3] 1946 verließ er seine Gemeinde in Florenz und gründete nahe von Prali das ökumenische Begegnungszentrum Agape.[4] Hier wollte er junge Leute zu gemeinsamem Leben und gemeinsamer Arbeit vereinen. Sein Ziel fasste er so zusammen: „Agape wird ein Ort sein, an dem Menschen sich begegnen und kurze Zeit verweilen werden, auf der Suche nach der brüderlichen Liebe. Dann kehren sie wieder nach Hause zurück. Im Wesentlichen sind es Jugendliche. Sie bilden eine momentane Gemeinschaft, die religiös lebt, fernab von den Gewohnheiten des täglichen Lebens.“ Architekt war sein Freund Leonardo Ricci, und das Zentrum konnte 1951 fertiggestellt werden.[5] Auf die Frage, wann ihm die Idee dazu gekommen war, antwortete er: „Als wir entdeckt hatten, mit überraschter Verwunderung und mit Furcht, dass Gott uns liebt.“

1961 nahm Vinay eine Pfarrstelle in Riesi auf Sizilien an, und ein Teil seiner Mitstreiter des Begegnungszentrums kamen mit. Dabei war der Sozialreformer Danilo Dolci sein Vorbild, ein Wegbereiter und moralischer Unterstützer.[6] Dazu sagte er später: „Bei unseren Untersuchungen haben wir festgestellt, dass Riesi die Stadt war, die uns vielleicht am meisten brauchte. So sind wir dann in Riesi geblieben und haben gesehen, dass das wirtschaftliche Elend der Bevölkerung eng mit dem sozialen und moralischen verbunden ist. Das Elend, die große Misere, das hier herrscht, zieht jeden Besucher unmittelbar in Mitleidenschaft.“

So wurde in Riesi 1961 das Diakoniezentrum Servizio Cristiano[7] gegründet, das heute aus einem Kindergarten, einer Grundschule, einem Gästehaus, einer Familienberatungsstelle und einer landwirtschaftlichen Abteilung sowie einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung besteht. Ursprünglich gab es auch eine Berufsschule sowie eine Heimarbeits- und eine Maschinenbaugenossenschaft. Der mit ihm befreundete Architekt Leonardo Ricci entwarf dafür das Gebäudeensemble Monte degli Ulivi.

1973 nahm er mit Don Enrico Chiavacci an einer Mission von Amnesty International und Pax Christi teil, um sich bei der Militärregierung Nguyễn Văn Thiệu in Südvietnam für die politischen Gefangenen einzusetzen. Das führte 1974 zur Gründung der Christlichen Aktion zur Abschaffung der Folter. Von 1976 bis 1983 war er im italienischen Senat als Unabhängiger für die Kommunistische Partei Italiens.[8] Dort setzte er sich besonders für Arbeiterrechte, Umweltschutz, Abrüstung, soziale Sicherheit und Frauenrechte ein.[9]

Im September 1934 heiratete er in Rom Fernanda Teodori, sie hatten zusammen zwei Kinder.[10]

Theologische Lehre

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tullio Vinay war überzeugt, dass von der Predigt der Bibel, des Wortes Gottes, aller christlicher Dienst ausgehen müsse, den die Kirche dieser Welt schulde. Kirchen dürfen sich nicht selbst behaupten und erhalten wollen, denn ein solcher Selbsterhaltungstrieb sei schuldhaft. Kirche habe immer den Auftrag, sich zu verschenken und zu sterben, damit die Welt leben könne. Nur so werde sie zum Salz dieser Welt. Wirkliches, gelingendes und erfülltes Leben finde man nur, wenn man sich an andere Menschen hingebe. Das Leben verliere seinen Sinn, wenn man es nur für sich behalten wolle.[16]

Schriften (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Agape sorge!, 1948.
  • Riesi, Kreuz-Verlag, Stuttgart 1964 und Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1968.
    • Le soleil se lève au sud. Une ville en Sicile: Riesi, Paris 1968.
  • Agape, ein Wagnis der Hoffnung für unsere Zeit, Kiefel Verlag, Wuppertal 1966.
    • Riesi ou la force de l'agape, Buchet et Chastel, 1976.
  • mit Gio Vinay: Giorni a Riesi, Claudiana, Turin 1966.
    • Riesi – Ein christliches Abenteuer, Gerd Mohn, Gütersloh 1964, 1966 und 1968; Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1985, ISBN 3-579-04632-2 (neuer Titel: Riesi – Geschichte eines christlichen Abenteuers, Kreuz-Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-7831-0247-2).
  • Ho visto uccidere un popolo. Sud Vietnam: tutti devono sapere, Claudiana, Turin 1974.
  • L'utopia del mondo nuovo. Scritti e discorsi al Senato, Claudiana, Turin 1984.
  • Die politische Diakonie der Kirche, Hg. Jürgen Moltmann, Mohr-Siebeck-Verlag, Tübingen 1987, ISBN 3-16-145288-7.
  • Liebe leben – Zukunft gestalten. Aus den Schriften und Reden des Gründers von Riesi, Hg. Karl-Christoph Epting, Christliche Verlagsanstalt Konstanz 1989, ISBN 3-7673-3595-6.
  • Il Servizio Cristiano dal 1961 al 1984, in 30 anni a Riesi. Storia fotografica del Servizio Cristiano, Stampatre, Turin 1991.
  • L'amore è più grande: la storia di Agàpe e la nostra, Claudiana, Turin 1995, ISBN 88-7016-211-7.
    • Liebe, die Berge versetzt. Die Waldenserkommunität Agape, Quell-Verlag, Stuttgart 1997, ISBN 3-7918-3452-5.
  • Vinay Tullio, Fondo Carte Famiglia Vinay, Serie IX, cartella 419, Archivio Società di Studi Valdesi.
  • Maria Bonafede: Azione a favore degli ebrei da parte di pastori metodisti e valdesi in Italia subito dopo l’emanazione delle leggi razziali (1937-1945): una prima panoramica, sulla base delle testimonianze raccolte, Licenza della Facoltà valdese di teologia di Roma, 1984.
  • Franco Giampiccoli: Tullio Vinay maestro di vita, in: Riforma, 13. September 1996.
  • Andrea Riccardi: Un uomo di grande visione, in: Riforma, 30. September 1996.
  • Piera Egidi: Incontri. Identità allo specchio tra fede e ragione, Claudiana, Turin 1998.
  • J. J. Peyronel: Un ritornello che dà un senso alla nostra vita.
  • Paolo Ricca: L'utopia dell'agape.
  • F. G. L'Abate: Ringraziamo Dio per il dono che ci ha fatto.
  • D. Maselli: Tullio Vinay un profeta laico nel Parlamento italiano.
  • Albert de Lange: Ich kann nicht schweigen: Tullio Vinay (1909-1996), Evangelischer Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-7918-8019-8.
  • Paola Vinay: Testimone d'amore, la vita e le opere di Tullio Vinay, Claudiana, Turin 2009.
  • M. Jourdan: I 50 anni del Servizio Cristiano, Claudiana, Turin 2011.
Commons: Tullio Vinay – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Renato Coisson: Tullio Vinay, Biografia, Website studivaldesi.org (italienisch, abgerufen am 13. August 2024)
  2. Fakultät der Waldenser in Rom, abgerufen am 26. November 2022
  3. Simone Baral: Vinay, Tullio, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 99, 2020, Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 14. August 2024)
  4. Ökumenisches Zentrum Agape, abgerufen am 26. November 2022
  5. Renato Coisson: Tullio Vinay, Biografia, Website studivaldesi.org (italienisch, abgerufen am 13. August 2024)
  6. Simone Baral: Vinay, Tullio, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 99, 2020, Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 14. August 2024)
  7. Servizio Christiano in Riesi, abgerufen am 26. November 2022
  8. Renato Coisson: Tullio Vinay, Biografia, Website studivaldesi.org (italienisch, abgerufen am 13. August 2024)
  9. Simone Baral: Vinay, Tullio, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 99, 2020, Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 14. August 2024)
  10. Renato Coisson: Tullio Vinay, Biografia, Website studivaldesi.org (italienisch, abgerufen am 13. August 2024)
  11. Simone Baral: Vinay, Tullio, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 99, 2020, Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 14. August 2024)
  12. http://www.bibliografia-valdese.com/jspwald/de/detail.php?id=9256&lang=it
  13. Tullio Vinay auf der Website von Yad Vashem (englisch)
  14. Gianluca Fiusco: Gewalt führt zu Gewalt, Website chiesaluterana.it (7. November 2023, abgerufen am 14. August 2024)
  15. Simone Baral: Vinay, Tullio, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 99, 2020, Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 14. August 2024)
  16. GAW: Von der Predigt muss aller Dienst ausgehen – Tullio Vinay, Website glaube-verbindet.gustav-adolf-werk.de (20. August 2018, abgerufen am 12. August 2024)