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MKL1888:Musik

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Musik“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 916933
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Musik. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 916–933. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Musik (Version vom 26.08.2023)

[916] Musik (v. griech. musiké [téchnē], lat. [ars] musica), die Kunst der Musen, welche nach der ältern griechischen Mythologie (Homer, Hesiod) Göttinnen des Gesanges und Tanzes, nicht aber, wie später, auch der Dichtkunst, Geschichtschreibung und Astronomie waren. Das Wort bedeutete daher bei den Griechen gleich zuerst wie heute speziell die Tonkunst und wurde erst später in übertragenem Sinn für die harmonische Ausbildung des menschlichen Geistes überhaupt gebraucht; doch blieb auch dann die vulgäre Bedeutung des Wortes die alte. Wie den Namen für die M. selbst, so haben wir auch die Bezeichnungen der Hauptelemente derselben von den Griechen übernommen: Melodie, Harmonie und Rhythmus. In der Lehre von der Harmonie (Harmonik) betrachteten die Griechen die Größenverhältnisse der Intervalle, ihre Konsonanz oder Dissonanz, vor allem die Zusammensetzung der Tonleitern; da sie mehrstimmige M. nicht kannten (s. unten, Geschichte), so fiel das, was wir heute unter Harmonielehre verstehen, nämlich die Lehre von der Konsonanz und Dissonanz der Akkorde und die Entwickelung der Regeln der Akkordverbindung, nicht in den Bereich ihrer Betrachtung. Die Lehre vom Rhythmus (Rhythmik, Rhythmopöie) wurde viel umständlicher abgehandelt als heute; ihr Inhalt war aber im wesentlichen derselbe, nämlich die Betrachtung der Taktarten, ihrer Unterteilungen und ihrer Zusammenordnung zu Taktgruppen. Die Lehre von der Melodie (Melodik, Melopöie) endlich war die eigentliche Kompositionslehre der Griechen, da in Ermangelung der Mehrstimmigkeit in dem Fortspinnen einer Melodie das Ganze der musikalischen Komposition bestand. Auch die Worte Metrum und Metrik (Lehre vom Metrum) sind griechischen Ursprungs. Die Griechen verstanden, wie auch wir heute, unter Metrik die Lehre von den Versfüßen, überhaupt Versmaßen in der Poesie; in der musikalischen Theorie versteht man heute unter Metrum im Gegensatz zu Rhythmus die schlichte Taktteilung, das Schema, innerhalb dessen die spezielle rhythmische Gestaltung der Melodie sich frei bewegt.

Die verschiedenen Gesichtspunkte, von denen aus die M. betrachtet wird, ergeben eine Anzahl getrennter Arbeitsfelder, deren jedes dem menschlichen Geist Gelegenheit zur vollen Entfaltung seiner Kräfte gibt. Vor allen andern muß natürlich die schöpferische Thätigkeit der Komponisten genannt werden, welche wie jede künstlerische Produktivität in erster Linie die Folge besonderer Begabung und erst in zweiter Resultat fachmännischer Ausbildung (Schule) ist. Das Komponieren kann allerdings gelehrt werden; doch sind bedeutende Komponisten allezeit nur diejenigen geworden, bei denen die Schule nur regelnd, klärend einzuwirken brauchte, nicht aber den ersten Anstoß zur Komposition geben mußte. Nächst der Komposition ist die musikalische Exekution zu nennen, die als Reproduktion der Produktion gegenübersteht; auch der reproduzierende Musiker ist Künstler, und die Qualität seiner Leistungen ist nicht minder von speziellem Talent abhängig als die des Komponisten. Das kongeniale Verstehen der Intentionen des Komponisten ist Vorbedingung der wahren reproduktiven Künstlerschaft. Das rein Technische der Exekution kann erlernt werden und setzt nur eine gewisse normale körperliche Entwickelung voraus: eine gesunde Lunge, einen gesunden Kehlkopf, wohlgebildete Finger, leichtes Handgelenk, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß zu besonders hervorragenden Leistungen auch eine besondere körperliche Begabung erforderlich ist, besonders für den Sänger. Aber auch die eminenteste Technik und die schönste, bestgeschulte Stimme macht noch nicht den rechten Künstler aus: wenn ihm der göttliche Funke, das musikalische Talent, fehlt, d. h. dasselbe, was dem Komponisten nötig ist, so werden seine Leistungen vielleicht als virtuose, aber niemals als wahrhaft große erscheinen. Der wahre ausübende Tonkünstler fühlt dem Komponisten nach, schafft sein Werk neu; darum sind die eminentesten Virtuosen auch zugleich gute Komponisten. Der musikalischen Begabung steht gegenüber als ergänzend und fördernd die musikalische Schule. Sofern dieselbe sich auf die Ausbildung der technischen Fertigkeit bezieht, steht sie kaum höher als die Lehre eines Handwerks, und es sind daher sehr viele Musiker, welche ohne Talent und ohne theoretische Ausbildung ein Instrument haben spielen lernen, in der That als Handwerker zu betrachten. Indessen erstreckt sich der Musikunterricht, gleichviel ob derselbe die Ausbildung für ein Instrument oder für Gesang bezweckt, in der Regel und bei einem guten Lehrer immer zugleich auf die Theorie der M., wenn auch nur auf die einfachsten Dinge (Tonarten, Akkorde). Einen fachmännisch ausgebildeten Musiker kann sich nur der nennen, der, auch wenn er nicht Komponist ist, doch die Schule der Komposition durchgemacht hat, d. h. die Regeln des musikalischen Satzes versteht und den Aufbau der musikalischen Kunstwerke begreift; nur ein solcher ist im stande, ohne Gefahr die Interpretation von Musikwerken zu übernehmen. Diese für die Praxis berechnete Theorie der M. ist die eigentliche musikalische Grammatik, und der Beruf des Lehrers der Musiktheorie ist darum ein ganz ähnlicher wie der des Lehrers überhaupt: er hat das Denkvermögen seines Schülers auszubilden [917] nur auf dem Gebiet der M. statt etwa auf dem der Sprachenkunde, der Mathematik etc. Die verschiedenen Stadien der theoretischen Ausbildung sowie zugleich die Methode der Unterweisung charakterisieren die Namen: Harmonielehre (Generalbaß), Kontrapunkt (einfacher, doppelter, Kanon, Fuge), freie Komposition (musikalische Formenlehre).

Mit diesen Bestimmungen ist die eigentliche Kunstlehre der M. umschrieben, d. h. die Lehre dessen, was für die Ausbildung des musikalischen Künstlers notwendig ist; der rechte Künstler wird sich freilich damit nicht bescheiden, sondern sich auch mit der Geschichte seiner Kunst vertraut machen, sich für die natürliche Begründung der Kunstgesetze interessieren und von den Ergebnissen der Kunstphilosophie profitieren. In diese drei Gebiete scheidet sich die Musikwissenschaft. Da die M. sich aus sehr einfachen und bescheidenen Anfängen ganz allmählich zu ihrer heutigen Großartigkeit und Vielgestaltigkeit entwickelt hat und die verschiedenen Phasen dieser Entwickelung in engster Beziehung zur Entwickelung der Kultur überhaupt stehen, so ist ihre Geschichte nicht nur die Lebensgeschichte der Komponisten, Virtuosen und Theoretiker, sondern auch eine Geschichte der musikalischen Bildung überhaupt und als solche ein Teil der Kulturgeschichte und scheidet sich weiter in eine Geschichte der musikalischen Formen und Stilarten, eine Geschichte der Musiktheorie etc. Die Untersuchungen der exakten Wissenschaft über das Wesen der M. erstrecken sich besonders auf die Formen der Bewegung tönender Körper (Schwingungen, Klang etc.) und führen die speziell musikalischen Begriffe Konsonanz, Dissonanz, Tonalität sowie die Regeln der Akkordverbindung auf allgemeine Ursachen zurück. Soweit sie sich nur auf die leblose Natur beziehen, werden sie in der Akustik abgehandelt; die Vorgänge des Hörens aber, die Untersuchungen über die Konstruktion des Ohrs und die Funktionen der Hörnerven gehören ins Gebiet der Physiologie und, soweit sie eine Geistesthätigkeit voraussetzen (was beim eigentlichen musikalischen Hören durchaus der Fall ist), ins Gebiet der Psychologie. Die Philosophie der M. endlich, die man auch als die spekulative Theorie der M. bezeichnen kann im Gegensatz zu der für die Praxis berechneten Kunstlehre u. der naturwissenschaftlichen Untersuchung der Klangerscheinungen, ist ein Teil der Kunstphilosophie (Ästhetik) überhaupt. Wie alle Philosophie, kann sie dabei einen zweifachen Weg einschlagen, indem sie entweder dialektisch gewisse allgemeine Begriffe auf die M. anwendet (wie z. B. K. Köstlin in Vischers „Ästhetik“), oder aber, ausgehend von den Thatsachen der Wahrnehmung auf induktivem Weg, zu allgemeinern Gesichtspunkten vorzudringen sucht (wie z. B. Th. Fechner in der „Vorschule der Ästhetik“). Hauptfragen der musikalischen Ästhetik sind die Begriffsbestimmungen des Musikalisch-Schönen, das Verhältnis von Inhalt und Form in der M. etc.; ferner hat dieselbe zum Gegenstand die Untersuchung des Anteils der M. an der Wirkung gemischter Kunstformen, z. B. der Vereinigung von M. und Poesie etc. (s. Vokalmusik) oder auch noch als dritter der darstellenden Kunst (Oper).

Da in richtiger Erkenntnis der direkten Wirkung der M. auf das Gemüt zu allen Zeiten und bei allen Völkern, besonders aber von der christlichen Kirche, dieselbe zur Verschönerung und Bereicherung des religiösen Kultus herangezogen worden ist, so ist ein erheblicher Bruchteil der musikalischen Litteratur direkt für kirchliche Zwecke geschrieben, und man unterscheidet daher die Kirchenmusik (s. d.) als eine besondere Art der M. Ein besonderer Stil ist der Kirchenmusik nicht eigen, nur schließt natürlich ihre Bestimmung das humoristische Element aus. Dagegen bedingt die besondere Eigenart der Instrumente, für welche eine M. geschrieben ist, gewisse Eigentümlichkeiten des Tonsatzes; man darf für Singstimmen nicht ebenso schreiben wie für Instrumente, wohl aber umgekehrt: die Vokalmusik unterliegt daher gegenüber der Instrumentalmusik gewissen Einschränkungen. Wo beide Arten vereinigt auftreten, im Gesang mit Instrumentalbegleitung, verringert sich der Unterschied erheblich, weil die Begleitung den Singstimmen viele sonst unüberwindliche Schwierigkeiten leichter macht. Instrumente von schnell verhallendem Ton, wie das Pianoforte, erfordern eine andre Behandlung als solche von lange aushaltendem Ton; man kann deshalb von einem besondern Stil der Klaviermusik reden. Eine M. von wenigen zusammenwirkenden Instrumenten ist einer geringern Zahl von Abwechselungen der Klangfarbe und Stärke fähig als eine vom reichbesetzten Orchester vorgetragene; sie muß diesen Ausfall decken durch feinere Detailarbeit; die sogen. Kammermusik unterscheidet sich daher nicht unerheblich von der Orchestermusik. Je nach der Auswahl der Instrumente unterscheidet man auch Streichmusik (M. für Streichinstrumente) und Hornmusik (Blasinstrumente). Weiter unterscheidet man Janitscharenmusik, welche gewöhnlich nur von Militärmusikkorps ausgeführt und daher auch kurzweg Militärmusik genannt wird, und bei der außer Blech- und Holzblasinstrumenten noch Schlaginstrumente und auch wohl der sogen. Schellenbaum zur Anwendung kommen, und Hornmusik, welche nur von Blechblasinstrumenten ausgeführt wird. Die Unterscheidung von Hausmusik und Konzertmusik betrifft kaum etwas andres als die von Kammermusik und Orchestermusik. Eine Bezeichnung von etwas geringschätziger Bedeutung ist die heutzutage für oberflächliche, aber brillante oder sentimental-melodische Erzeugnisse besonders für Klavier übliche Salonmusik.

Geschichte.
I. Die Musik im Altertum.

Der Ursprung der M., zu allen Zeiten und bei allen Völkern ein beliebter Gegenstand der Spekulation, wird bei den Völkern des Altertums mit Übereinstimmung von der Gottheit hergeleitet, infolgedessen ihnen allen die M. als bildend und veredelnd, unter Umständen auch als wunderwirkend gilt. Schon bei dem ältesten Kulturvolk der Erde herrscht diese Anschauung, bei den Indern, welche in Brahma nicht nur den obersten der Götter, sondern auch den Schöpfer der M. und in seinem Sohne Nared den Erfinder des nationalen Musikinstruments, der Vina (s. d.), verehren. Den durch göttliche Macht offenbarten Tonweisen aber wurden die wunderbarsten Wirkungen zugeschrieben: eine hatte zur Folge, daß der, welcher sie anstimmte, vom Feuer verzehrt wurde, eine andre vermochte die Sonne zu verfinstern, eine dritte Regen hervorzubringen etc. Die in diesen Mythen ausgesprochene Phantastik der Inder kennzeichnet auch ihre Theorie; unfähig, die Masse der von der Natur gegebenen musikalischen Klänge durch Reduzierung auf eine übersichtliche Anzahl zu einem entwickelungsfähigen System zu ordnen (was, streng genommen, erst der nachchristlichen Zeit gelingen sollte), schwelgten die Inder in einem fast unbegrenzten Reichtum von Intervallen und Tonarten, welch letztere sich nach Angabe des Musikgelehrten Soma auf nicht weniger als 960 beliefen. [918] Hierbei ist allerdings zu bemerken, daß der Begriff „Tonart“ im Altertum ein andrer und weiterer war als gegenwärtig und alle die durch Erhöhung, Vertiefung oder Überspringung einzelner Intervalle der Skala entstehenden Varianten als solche galten. Findet man ferner, daß sich die Inder sowenig wie die übrigen Völker des Altertums auf die Einteilung der Oktave in zwölf Halbtöne beschränkten, sondern auch Vierteltöne verwendeten (es kamen deren nach Ambros 22 auf die Oktave), so erscheint ihre M. zwar überreich an melodischem Material, ebendeswegen aber ungeeignet, auf dem Weg logischer Entwickelung zu innerer Selbständigkeit geführt zu werden. Besser hätte dies dem nüchtern-rationalistischen Sinn der Chinesen gelingen können, wäre derselbe mit der für künstlerischen Fortschritt nötigen Phantasie gepaart gewesen; in Ermangelung der letztern aber konnte sich die chinesische M. nicht über die primitiven Entwickelungsstufen kleinlicher Spekulation erheben und noch weit weniger über einen eng begrenzten Kreis hinaus wirken als die Werke der bildenden Kunst Chinas. Trotzdem nahm die M. im öffentlichen Leben Chinas eine hervorragende Stellung ein; man erkannte in ihr ein wirksames Mittel zur Beförderung der Sittlichkeit, und der weiseste aller chinesischen Gesetzgeber, Konfutse (500 v. Chr.), behauptete sogar, wenn man wissen wolle, ob ein Land wohl regiert und gut gesittet sei, so müsse man seine M. hören. Mit der Zeit bildete das starre Festhalten am Hergebrachten, welches in China den Fortschritt auf allen Gebieten der Arbeit erschwerte und schließlich das Land um die Früchte seiner Jahrtausende alten Kultur gebracht hat, auch für die Entfaltung der M. ein schweres Hemmnis. Als Beleg dieser überkonservativen Richtung sei nur die Thatsache erwähnt, daß die uralte fünftönige, der Quarte und Septime ermangelnde Skala (dieselbe, welche K. M. v. Weber seiner Ouvertüre zu „Turandot“ zu Grunde gelegt hat) allen Reformversuchen zum Trotz noch bis in das 16. Jahrh. n. Chr. den Chinesen als Normalsystem galt. Ihr die fehlenden Intervalle aufzuzwingen, so behaupteten die Musikgelehrten, heiße so viel, wie der Hand einen sechsten oder siebenten Finger anfügen zu wollen, und selbst dem als Musikkenner allgemein anerkannten Prinzen Tsai-Yu, der sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. an die Spitze der musikalischen Fortschrittspartei gestellt hatte, gelang es nicht, den Widerstand zu brechen.

Derselbe einseitige Konservatismus war es auch, welcher die künstlerisch noch weit begabtern Ägypter auf dem halben Weg ihrer Ausbildung zurückhielt. Daß die M. im öffentlichen wie im Privatleben Ägyptens eine wichtige Rolle spielte, zeigen die zahlreichen, auf fast allen Monumenten des Landes wiederkehrenden bildlichen Darstellungen von Sängern und Instrumentisten, bald einzeln, bald zu Chören und Orchestern vereint. Auch läßt die Mannigfaltigkeit der dort erscheinenden Instrumente, unter ihnen die große, reichbesaitete Harfe, auf eine gewisse äußere Pracht und Üppigkeit der ägyptischen M. schließen; indessen darf mit Recht angenommen werden, daß ihr Inhalt zu diesem Reichtum der Darstellungsmittel in keinem Verhältnis stand. Denn wie die Skulptur und Malerei Ägyptens, auf einer gewissen Ausbildungsstufe angelangt, durch den Machtspruch einer in geheimnisvollem Dunkel wirkenden Priesterkaste zur steten Wiederholung gewisser Typen gezwungen war, so auch die Dicht- und Tonkunst; diese Künste aber mußten unter den genannten Verhältnissen um so sicherer dem Zustand der Erstarrung anheimfallen, als sie zu ihrem Gedeihen die lebendige Teilnahme des Volkes am wenigsten entbehren können. In diesem Zustand zeigt sich die ägyptische Kunst noch zur Zeit Platons (4. Jahrh. v. Chr.), der in seinen „Gesetzen“ (Buch 2) berichtet, daß man dort schöne Formen und gute M. wohl zu schätzen wisse; „wie aber diese schönen Formen und gute M. beschaffen sein müssen, ist von ihren Priestern bestimmt, und weder Malern, Musikern noch andern Künstlern ist es erlaubt, etwas Neues, von jenen einmal als schön erkannten Mustern Abweichendes einzuführen. Daher kommt es auch, daß ihre Gemälde und Statuen, die vor 10,000 Jahren verfertigt wurden, in keinem einzigen Stück besser oder schlechter sind als diejenigen, welche noch jetzt gemacht werden.“ Mußte so Ägypten, durch ein ungünstiges Geschick gehindert, seine künstlerische Mission unvollendet lassen, so bleibt ihm doch die Ehre, den beiden hervorragendsten Kulturvölkern des Altertums, den Hebräern und den Griechen, die Bahn zur Erreichung der höchsten Ziele gewiesen zu haben. Was die M. der erstern betrifft, so sind wir hinsichtlich ihrer innern Beschaffenheit lediglich auf Vermutungen angewiesen, da nicht nur keinerlei schriftliche Mitteilungen über sie vorhanden sind, sondern es auch an Monumenten des hebräischen Altertums (ein Relief des Titus-Triumphbogens in Rom mit Abbildung eines Zugs gefangener Juden ausgenommen) gänzlich mangelt. Auch die im Alten Testament überlieferten zahlreichen Angaben über musikalische Einrichtungen, Instrumente etc. bieten für jenen Mangel keinen Ersatz; und wiewohl es nicht zweifelhaft sein kann, daß die Tonkunst mit dem Kultus wie mit dem täglichen Leben der Hebräer eng verflochten gewesen ist, wiewohl ihre Dichtungen, namentlich die Psalmen Davids, nach Herders Ausspruch „vom Geiste der Tonkunst so innig durchdrungen sind, daß sie in jedem ihrer Glieder Jubel und Klang gleichsam mit sich führen“, so müssen doch die Bestrebungen des Historikers, das Wesen dieser Tonkunst näher zu bestimmen und ihre Eigenart zu erforschen, bei dem Mangel an Hilfsmitteln bis auf weiteres erfolglos bleiben.

Um so lohnender ist die Beschäftigung mit der M. der Griechen, deren Praxis und Theorie durch eine große Zahl wertvoller Schriften zur Kenntnis der Nachwelt gelangt sind. Schon im Kindheitsstadium der Entwickelung Griechenlands veranlaßte das lernbegierige Naturell seiner Bewohner einen Austausch, welcher zur spätern Blüte der Nation den Grund legte. In letzterer Beziehung wirkte namentlich die Berührung mit den Ägyptern und mit den Völkern Kleinasiens belebend, auch auf dem Gebiet der M. Von Ägypten, wo dieselbe vorwiegend in ihren Beziehungen zur Mathematik und Astronomie erfaßt wurde, empfing das junge Griechenland die erste Anregung zur theoretischen Spekulation, von Kleinasien, aus der Landschaft Phrygien, dagegen ein für die praktische Tonkunst wichtiges Element: die wildleidenschaftliche M. des dort heimischen und in der Folge nach Hellas verpflanzten Dionysoskultus nebst den sie begleitenden scharf und weithin tönenden Blasinstrumenten (Aulos). Die Verschmelzung dieser phrygischen (Dionysischen) Tonkunst mit der auf strenges Maß gerichteten, durch Apollon personifizierten heimisch-dorischen vollzog sich aber in der attischen Tragödie, nachdem diese sich zur selbständigen Kunstgattung entwickelt hatte. Nach den neuesten Forschungen, namentlich R. Westphals („Griechische Rhythmik und Harmonik“), ist es nicht zweifelhaft, daß die M. an der mächtigen Wirkung der antiken Tragödie einen Hauptanteil gehabt hat, indem nicht nur die Chöre, [919] sondern auch die Einzelreden gesungen wurden. Die Frage, wie diese M. beschaffen gewesen sei, muß freilich auch diesmal unbeantwortet bleiben, denn die spärlichen aus jener Zeit herübergeretteten, im 16. Jahrh. entdeckten Fragmente altgriechischer M. vermögen, wiewohl ihre Entzifferung neuerdings durch Friedr. Bellermann vollständig gelungen ist, keinerlei Aufschluß darüber zu geben. Nur so viel darf mit Sicherheit angenommen werden, daß sie bei völliger Abhängigkeit von der Dichtung weder an Freiheit und Selbständigkeit der Bewegung noch an Reichtum der Ausdrucksmittel der modernen M. gleichstand und jedenfalls einen der wichtigsten Vorzüge dieser letztern, die Mehrstimmigkeit, entbehren mußte; ferner, daß sie ihre Hauptwirkung im lyrischen Teil des Dramas, in den Chören, entfaltete, in denen das Zusammenwirken von Männer- und Knabenstimmen in Oktaven sowie die gelegentlich auch melodiefremde Intervalle verwendende Begleitung der Instrumente (Lyra, Kithara, Aulos) eine Art Ersatz für die mangelnde Polyphonie gewährten.

Dieser Lyrik, der sogen. chorischen, welche auch als selbständiger Kunstzweig gepflegt wurde und durch Künstler wie Ibykos und Pindar (522–442) zu hoher Blüte gelangte, stellte sich schon früh die melische Lyrik gegenüber, eine Lyrik im eigentlichen Sinn des Wortes, weil die Lyra, welche als Attribut Apollons der Kunstgattung überhaupt den Namen gegeben, hier ein wesentliches Hilfsmittel des Vortrags war. Der Hauptunterschied dieser beiden Zweige der lyrischen Kunst bestand aber darin, daß die erstere die Empfindungen einer Gesamtheit in großen Zügen zum Ausdruck brachte, während die letztere die Zustände der Einzelseele zu schildern unternahm, wobei dem musikalischen Teil, dem Melos, eine freiere Bewegung und selbständiges Hervortreten gestattet und geboten war. In diesem Vorherrschen des musikalischen Elements bestand der eigentliche Reiz der melischen Lyrik, nachdem dieselbe im 7. und 6. Jahrh. v. Chr. an der üppigen, zur Lebenslust einladenden Westküste Kleinasiens durch die dort wohnhaften ionischen und äolischen Griechen zu jener Vollkommenheit ausgebildet war, die wir an den Dithyramben eines Arion, den Liebesliedern einer Sappho, den Trinkliedern eines Anakreon bewundern, ein Reiz, mächtig genug, um die ältere bescheidenere Art des Volksgesanges, die Kunst der Rhapsoden, welche sich begnügt hatten, die Ereignisse der Heroenzeit in recitativischer Weise und ohne Begleitung eines Instruments vorzutragen, bald zu verdrängen. In dem Maß jedoch, wie die M. als Sonderkunst zu immer höherer Ausbildung gelangte, mußte sich die erhebende Wirkung vermindern, welche sie im frühern engen Verein mit der Dichtkunst ausgeübt hatte. Das musikalische Virtuosentum beginnt jetzt in den Vordergrund zu treten, die Tonkunst strebt, sich mehr und mehr von der Dichtkunst zu emanzipieren. Wie aber die M., so hatte auch die Sprache um eben diese Zeit (5. Jahrh. v. Chr.) durch das Aufblühen der sophistischen Philosophie eine Bereicherung erfahren, die sie veranlaßte, auch ihrerseits eigne Wege zu gehen, und es vollzieht sich die Scheidung der M. von der Poesie. Von nun an wird der Niedergang der griechischen Kunst unaufhaltsam; am wenigsten vermochte die Tragödie ihre Bedeutung als Gesamtkunstwerk zu wahren, nachdem die Vereinigung des Dichters und Komponisten in Einer Person, wie solche noch bei Äschylos und Sophokles bestanden hatte, durch eine kunstgeschichtliche Notwendigkeit aufgehoben und dadurch das einheitliche Wirken ihrer beiden wichtigsten Faktoren unmöglich gemacht war. Schon Euripides mußte die musikalische Komposition seiner Dramen einem andern, fachmännisch Gebildeten überlassen, und in seiner Dichtung waltet verstandesmäßige Berechnung anstatt des dithyrambischen Schwunges der frühern Dramatiker vor. Der Verlust der nationalen Selbständigkeit Griechenlands infolge der Schlacht bei Chäroneia (338 v. Chr.) vollendet das Zerstörungswerk und beschließt eine Kunstepoche, die ungeachtet ihrer kurzen Dauer von nur anderthalb Jahrhunderten an Bedeutsamkeit ihrer Errungenschaften von keiner spätern erreicht worden ist.

Die nächstfolgenden Jahrhunderte würden als musikalisch unfruchtbar zu bezeichnen sein, wäre nicht an Stelle des erstorbenen Kunstgeistes die Wissenschaft thätig gewesen, um den praktischen Gewinn der vorangegangenen schöpferischen Periode theoretisch zu befestigen. Während ein Platon, ein Aristoteles das Wesen der M., ihre ethische und ästhetische Bedeutung zum Gegenstand ihrer Forschungen machen, findet die Theorie ihren Hauptvertreter in Aristoxenos von Tarent (um 350 v. Chr.), einem Schüler des Aristoteles, welcher auf Grund der bereits zwei Jahrhunderte früher durch Pythagoras angestellten Forschungen die Musiklehre nach mathematischer, physikalischer und akustischer Seite zu einem den Zeitverhältnissen entsprechenden Abschluß brachte. Das von ihm überlieferte griechische Musiksystem unterscheidet sich von dem modernen im wesentlichen dadurch, daß nicht die Oktave, sondern eine Reihe von vier Tönen im Umfang einer reinen Quarte, das Tetrachord (s. d.), seine Grundlage bildet. Das Tetrachord, welches stets zwei Ganztöne und einen Halbton umfaßt, heißt je nach der Stellung dieses Halbtons dorisch (wenn er in der Tiefe liegt, z. B. EF-G-A), phrygisch (wenn er in der Mitte liegt, z. B. D-EF-G) oder lydisch (wenn er in der Höhe liegt, z. B. C-D-EF). Aus der Zusammensetzung zweier dorischer, phrygischer oder lydischer Tetrachorde entstehen die gleichnamigen Oktavengattungen (griech. Harmonia), zu denen in der Folge noch vier weitere, mit den übrigen Tönen der diatonischen Skala beginnende hinzukamen, nämlich H-h (Mixolydisch), A-a (Hypodorisch), G-g (Hypophrygisch), F-f (Hypolydisch). Die drei letztern sind jedoch nicht als selbständige Tonarten anzusehen, sondern sie dürfen nur als Umstellungen der drei erstern gelten, deren höhere Hälfte, die Quinte, zur tiefern wurde, z. B.

Dorisch. Hypodorisch.

Neben diesem System der Oktavengattungen war aber noch ein andres im Gebrauch, die Transpositions-Skala (Tonos), d. h. eine zwei Oktaven umfassende Mollskala, welche dadurch entstand, daß man der dorischen Oktavengattung E-e noch ein dorisches Tetrachord in der Tiefe und eins in der Höhe zufügte (beide in so enger Verbindung, daß die Grenztöne zusammenfielen) und schließlich diese Reihe durch einen Ton in der Tiefe, den „hinzugenommenen“ (Proslambanomenos), vervollständigte:

[920] Dieses System unterscheidet sich dem Wesen nach von dem der Oktavengattung dadurch, daß es (wie auch die moderne Dur- und Mollskala) auf jeden der zwölf Halbtöne der Oktave transponiert wird, ohne daß sich die Intervallenfolge verändert, wie dies ja bei den Oktavengattungen verschiedener Tonhöhe der Fall ist. Endlich ist noch das sogen. vollständige System (Systema teleion) zu erwähnen, eine Transpositionsskala, welcher noch ein fünftes dorisches Tetrachord in enger Verbindung mit dem Stammtetrachord hinzugefügt ist, jedoch nur zu fakultativer Benutzung, falls man in die Unterdominante modulieren wollte.

Obwohl von den Oktavengattungen dem Wesen nach verschieden (über die Beziehungen der beiden Systeme zu einander findet man näheres in Fr. Bellermanns „Anonymus“, Note 28, S. 45), führten die Transpositionsskalen doch dieselben Benennungen nach Provinzen, und zwar hießen die sieben ursprünglichen (ihre Anzahl stieg später auf fünfzehn): Hypodorisch (F moll), Hypophrygisch (G moll), Hypolydisch (A moll), Dorisch (B moll), Phrygisch (C moll), Lydisch (D moll), Mixolydisch (Es moll). Weiteres s. Griechische Musik. Bezüglich der zuletzt angeführten Benennungen sei schon jetzt darauf hingewiesen, daß sie fast ein Jahrtausend später in derselben Folge als Bezeichnung der christlichen Kirchentonarten wiederkehren, obwohl diese nichts andres sind als die griechischen Oktavengattungen, folglich mit den Transpositionsskalen nichts gemein haben – ein Irrtum, der dadurch verursacht wurde, daß während der ersten Jahrhunderte des Mittelalters mit der griechischen Sprache auch die Musiklehre in Vergessenheit geraten war und bei Wiederaufnahme des Studiums der antiken Theorie der Unterschied jener beiden Systeme unbeachtet blieb. Als ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der altgriechischen von der modernen M. darf ihre melodische Mannigfaltigkeit gelten, wie sie in den Tongeschlechtern und Schattierungen zu Tage tritt. Unter den erstern, deren es drei gab, das diatonische, chromatische und enharmonische, verstand man die Modifikationen der Intervalle innerhalb eines Tetrachords, beim enharmonischen Geschlecht bis auf das dem heutigen Ohr unfaßbare Intervall des Vierteltons, während die Schattierung (Chroma) noch feinere Intonationsunterschiede bezeichnet. Ob dieselben in der praktischen M. zur Verwendung kamen oder nur als Ergebnisse rechnender Spekulation gelten können, ist eine noch streitige Frage; für die Richtigkeit der erstern Annahme spricht jedoch die Thatsache, daß der Kirchenvater Clemens von Alexandria (starb um 220) seiner Gemeinde den Gebrauch der chromatischen Tonfolgen, als der Würde des Gottesdienstes nachteilig, untersagte.

II. Die Musik des Mittelalters.

Mit dem genannten Verbot tritt die christliche Kirche zum erstenmal musikalisch-selbständig auf, wenn auch vorläufig nur negierend; denn es bedurfte für sie noch mehrerer Jahrhunderte der Erstarkung, um der selbst zur Zeit der römischen Weltherrschaft noch allumfassenden Macht der griechischen Kultur selbstschöpferisch gegenüberzutreten. Eine höhere Bedeutung darf die musikalische Reform des heil. Ambrosius, Bischofs von Mailand (gest. 397), beanspruchen, welcher die vier mit D, E, F und G beginnenden Oktavengattungen der Griechen (von ihm mit den griechischen Zahlworten protos, deuteros, tritos und tetrardos bezeichnet) zum Gebrauch für seine Kirche bestimmte und damit zunächst zwar ebenfalls nur eine Vereinfachung des antiken Systems bezweckte, gleichzeitig jedoch den Grund zu dem noch heutigestags gültigen System der Kirchentonarten legte. Von höchster Wichtigkeit aber sind die Fortschritte, welche die M. dem Papst Gregor d. Gr. (gest. 604) zu danken hat. Dieser vervollständigte das System der Kirchentonarten, indem er den vier Ambrosianischen Tonarten, den sogen. authentischen, vier weitere hinzufügte, welche Plagaltonarten genannt wurden und zu den Haupttonarten in einem Abhängigkeitsverhältnis standen, ähnlich wie die mit hypo bezeichneten Oktavengattungen der Griechen zu den übrigen, den ältern. Wie jene, bestanden auch die Plagaltonarten in einer Umstellung der Teile der authentischen, nur mit dem Unterschied, daß bei den Stammtonarten der christlichen Kirche die Quinte als tiefere und die Quarte als höhere Hälfte der Oktave gedacht wurde, z. B.

Die enge Zusammengehörigkeit der authentischen und plagalischen Töne (deren Verhältnis von den Schriftstellern des Mittelalters durch die Bezeichnung „männlich“ und „weiblich“ treffend charakterisiert ist) zeigt sich am deutlichsten darin, daß der musikalische Schwerpunkt, der Grund- oder Finalton, beiden gemeinsam ist: die authentische Tonart hat ihn in der Tiefe, die plagalische dagegen in der Mitte, d. h. ihre Tonleiter findet ihren Abschluß auf der Quarte, welche sie nach der Höhe und der Tiefe im Umfang einer Oktave umschweift. Nach diesem Prinzip teilte man auch die Melodien in authentische und plagalische ein, nämlich solche, die sich vom Grundton bis zu seiner Oktave und zurück bewegen, und solche, die von ihrem Grundton aus eine Quinte aufwärts und eine Quarte abwärts steigen, um schließlich wieder zu ihm zurückzukehren (vgl. Kirchentöne). – Hiermit war das griechische System der Oktavengattungen wieder vollständig ins Leben gerufen, wenn auch nicht mit den frühern Namen derselben, denn Gregor begnügte sich, wie auch sein Vorgänger Ambrosius, die Tonarten durch Zahlworte zu bezeichnen; erster Kirchenton: D-d, zweiter: A-a, dritter: E-e, vierter: H-h, fünfter: F-f, sechster: C-c, siebenter: G-g, achter: D-d (dieser vom ersten nur durch den Finalton unterschieden, welcher dort D, hier G ist). Ein weiteres Verdienst um die M. erwarb sich Gregor durch die Verbesserung der schon von den Päpsten Silvester und Hilarius im 4. und 5. Jahrh. gegründeten Kirchengesangschulen sowie durch Zusammenstellung der zu seiner Zeit bekannten Kirchengesänge in dem sogen. „Antiphonarium centone“, welches bis zur Gegenwart die Grundlage des römischen Kirchengesanges geblieben ist. Den Gipfel seiner musikreformatorischen Thätigkeit aber bezeichnet die Einführung der nach ihm benannten Vortragsweise, des Gregorianischen Gesanges oder Cantus planus (ebener Gesang), so genannt, weil er nicht, wie der antike und auch noch der Ambrosianische Gesang, den Zeitwert der Töne dem Metrum der Dichtung unterordnete, sondern es dem Sänger überließ, [921] die Textessilben, wie in der ausdrucksvollen Rede, nach Belieben zu dehnen und zu verkürzen. „Indem so die Melodie von den Fesseln der Metrik befreit war“, sagt Ambros, „zerriß das Band, welches bis dahin die christliche M. noch mit der antiken verknüpft hatte, und darin liegt die hohe Bedeutung der musikalischen Reform des heil. Gregor, daß sich nun die Tonkunst thatsächlich von der Wortdichtung emanzipierte, in welcher jene bisher fast als integrierender Bestandteil unselbständig aufgegangen war.“

Nach Gregors Tod mußten wiederum Jahrhunderte vergehen, bevor die M. in ein neues Stadium ihrer Entwickelung treten konnte, bevor dasjenige Element zur Ausbildung gelangen sollte, welches recht eigentlich das Unterscheidungsmerkmal der antiken von der modernen M. bildet: die Mehrstimmigkeit oder Harmonie (im heutigen Sinn des Wortes). Der erste, welcher es unternahm, feste Regeln für das gleichzeitige Erklingen zweier oder mehrerer Tonreihen aufzustellen, war Hucbald (Ubaldus), ein Mönch des Klosters St.-Amand in Flandern (gest. 930). Er folgte dabei teils der antiken Musiklehre, welche in der lateinischen Bearbeitung des Boethius (gest. 525 n. Chr.) zu seiner Zeit wiederum Gegenstand des Studiums geworden war, teils den bereits vor ihm an musikalischen Instrumenten gemachten praktischen Erfahrungen; die von ihm seinen mehrstimmigen Tonsätzen gegebenen Namen Diaphonie („Zusammenklang“) und Organum („Musikinstrument“) deuten auf die eine wie auf die andre Quelle. Das Verfahren Hucbalds bestand zunächst darin, daß er zu einer Tonreihe eine zweite in der schon von den Griechen als vollkommenste Konsonanz anerkannten Quinte hinzufügte; sodann gewinnt er durch Oktavenverdoppelung der tiefen Stimme Quartenparallelen in den beiden Oberstimmen; endlich durch Oktavenverdoppelung der zweiten Stimme einen vierstimmigen Satz, z. B.

Neben dieser rein mechanischen Tonkombination empfiehlt er aber noch eine andre von nur zwei Stimmen, deren eine meist auf derselben Tonhöhe verweilt, während die andre sich in verschiedenen Intervallen um sie herum bewegt:

Indessen war auch mit dieser Art des Organums, wiewohl es schon eine annähernd kunstmäßige Gestalt zeigt, für die Ausbildung der mehrstimmigen M. noch nicht viel gewonnen, und man wird die begeisterten Äußerungen Hucbalds bezüglich der Wirkung dieses „lieblichen Zusammenklanges“ mit Vorsicht aufnehmen müssen. Auch dem ein Jahrhundert später wirkenden, als Musikreformator zu hohem Ruhm gelangten Guido von Arezzo (gest. 1050) sollte es nicht gelingen, die Kunst des mehrstimmigen Tonsatzes wesentlich zu fördern; dagegen ist ihm ein andrer wichtiger Fortschritt zu danken, die Ausbildung einer den erhöhten Bedürfnissen der M. entsprechenden Notenschrift. Als solche waren von den Griechen die 24 Buchstaben des Alphabets (für die Instrumente in verkehrter Stellung) benutzt worden, von Gregor d. Gr. aber die des lateinischen Alphabets und zwar, in richtiger Erkenntnis der Notwendigkeit einer Vereinfachung der antiken Notation, nur die sieben ersten als zur Bezeichnung der diatonischen Tonleiter hinreichend. Beide Notierungsarten aber litten an dem Fehler, daß sie das Steigen und Fallen der Melodie nicht anschaulich darstellten. Dies vermochte eine dritte schon zu Gregors Zeit bekannt gewesene und auch von ihm neben den Buchstaben benutzte Tonschrift, die Neumen (s. d.), bestehend in einer großen Zahl von Zeichen, Punkten, Strichelchen und Schnörkeln, deren Ursprung in den Accenten der griechischen Schriftsprache zu suchen ist, bis zu einem gewissen Grade; doch war die Stellung der einzelnen auf- und absteigenden Tonzeichen, solange man dieselbe nicht mit Hilfe eines Liniensystems präzisierte, zu unbestimmt, um nicht die verschiedensten Lesarten zuzulassen. Diesem Übelstand nun half Guido ab, indem er die Versuche seiner Vorgänger mit erst einer, dann zwei bald schwarzen, bald farbigen Linien dadurch zum Abschluß brachte, daß er vier Linien nebst den dazwischenliegenden Spatien benutzte und so die Möglichkeit gewann, den Neumen im Umfang einer Oktave (genau einer None) ihren bestimmten Platz anzuweisen. Von den mancherlei weitern Erfindungen, welche die Zeitgenossen und Nachfolger des gefeierten Mannes ihm zum Teil mit Recht, zum Teil mit Unrecht zugeschrieben haben, verdient namentlich seine Gesanglehrmethode Erwähnung, vermittelst welcher er in Jahresfrist oder höchstens in zwei Jahren die Ausbildung eines Sängers vollenden zu können behauptete. Diese Methode bestand darin, daß der Schüler die Intervallverhältnisse eines zu erlernenden Gesanges durch Vergleichung mit einem ihm schon bekannten schneller erfaßte; als einen zu solchen Vergleichen geeigneten Melodientypus empfahl Guido eine Hymne des Paulus Diaconus, in welcher die Sänger bei Heiserkeit von Johannes dem Täufer, dem „Patron der hellen Stimme“ (vox clamantis), Heilung erflehten:

Der Vorteil, den gerade diese Hymne dem Schüler bot, war ein doppelter: einmal, weil ihre einzelnen Melodiephrasen (nach heutiger Ausdrucksweise „Takte“) die für die Kirchentonarten charakteristischen Intervallverhältnisse darstellten, sodann, weil die Anfangstöne dieser Phrasen eine aufsteigende diatonische Skala bilden, welcher zufällige Umstand später die romanischen Völker veranlaßte, die Töne der Tonleiter mit den Silben ut re mi fa sol la zu bezeichnen. (Das si für die siebente Stufe wurde erst später, nachdem das Oktavensystem allgemein angenommen war, in Frankreich hinzugefügt.)

Ungeachtet aller Fortschritte, welche die M. bisher [922] gemacht, mußte ihre nunmehr wichtigste Aufgabe, die Vervollkommnung des mehrstimmigen Gesanges, so lange ungelöst bleiben, als es dem Belieben der Sänger überlassen war, die Dauer der Töne zu bestimmen, und es an Mitteln fehlte, wie die Höhe und Tiefe, so auch den Zeitwert des Tons durch die Schrift dem Auge kenntlich zu machen. Dieser Mangel gab Veranlassung, dem cantus planus einen cantus mensurabilis („gemessenen Gesang“, Mensuralmusik) gegenüberzustellen, dessen Regeln zuerst von Franco von Köln (um 1200) festgestellt wurden. Wie seine Vorgänger, geht auch Franco von den Griechen aus, indem er zunächst nur zwei Notenwerte, die Longa und die Brevis, annahm, entsprechend der langen und kurzen Silbe der antiken Prosodie. Die Vereinigung dieser beiden Notengattungen, deren letztere die Hälfte der erstern galt, ergibt den Modus, der entweder als Trochäus oder als Iambus erscheint, selbstverständlich aber stets dreiteilig ist; so erklärt es sich, daß in den frühsten Zeiten der Mensuralmusik der dreiteilige Rhythmus allein Anwendung fand und, als später auch der zweiteilige in Gebrauch kam, der vollkommene genannt wurde, letzterer aber der unvollkommene. Im weitern Verlauf seiner Darstellung freilich verläßt Franco die Traditionen des Altertums, denn hier erscheinen als neue Notenwerte die doppelte Longa (Maxima) und die halbe Brevis (Semibrevis). Mit diesen Zeichen, zu denen noch das für die Pause (s. d.) kommt, war es schon möglich, eine rhythmisch mannigfaltige M. zu notieren; nur litt die Mensuralnotation des Mittelalters an dem Übelstand, daß der Wert der Noten nicht durch ihre Gestalt allein, sondern auch durch ihre Stellung zur Nachbarnote bedingt war, was ihre Entzifferung sehr erschwerte. Die Schwierigkeiten häuften sich noch bei den sogen. Ligaturen, d. h. Gruppen von mehreren in ein Zeichen zusammengezogenen Noten, welche auf einer Silbe gesungen wurden, und in denen der Wert der einzelnen Noten sich nach dem rechts oder links befindlichen auf- oder absteigenden Strich etc. bestimmte. Zudem war das wichtige Hilfsmittel zur exakten Wiedergabe der Mensural- oder, wie sie auch genannt wurde, Figurenmusik, der Taktstrich, um diese Zeit noch unbekannt; erst im 16. Jahrh. erscheint er hier und da, bis er im Anfang des 17. Jahrh. allgemein in Gebrauch kommt.

Auf einer ungleich höhern Stufe zeigt sich die neue Kunst des mehrstimmigen Tonsatzes zur Zeit des Marchettus von Padua und des Johannes de Muris Doktors der Theologie an der Universität zu Paris (um 1300). In den Schriften dieser Männer erscheint zuerst das Verbot der noch von Hucbald ihres Wohlklangs wegen gepriesenen Quinten- und Oktavenparallelen nebst verschiedenen andern für den mehrstimmigen Tonsatz noch bis heute gültig gebliebenen Lehren. Auch findet sich bei de Muris schon das Wort Kontrapunkt statt des bis dahin gebräuchlichen Ausdrucks Discantus als Bezeichnung eines zweistimmigen Tonsatzes. Zur vollen Entfaltung aber gelangt die mehrstimmige M. erst Ende des 14. Jahrh. mit Guillaume Dufay, der als Mitglied der päpstlichen Sängerkapelle nach Zurückverlegung des heiligen Stuhls von Avignon nach Rom hier die für Ausbildung des Kontrapunktes erfolgreichste Periode eröffnete, welche nach der hauptsächlich dabei beteiligten Nation die niederländische genannt wird. Von hoher Bedeutung wurde es für die Wirksamkeit der niederländischen Tonsetzerschule, daß inzwischen neben der geistlichen auch die weltliche M. zum Leben erwacht war. Die Ausbildung der Vulgärsprachen, die pädagogischen Bemühungen der seit der Zeit Karls d. Gr. blühenden Universitäten und Klosterschulen, von welch letztern namentlich die zu St. Gallen auch die M. mit Eifer pflegte, endlich die Einflüsse des Morgenlandes teils von dem maurischen Spanien her, teils während der Kreuzzüge, alles dies hatte zur Entfesselung der künstlerischen, im besondern der dichterischen und musikalischen, Triebe der abendländischen Völker mitgewirkt. Im südlichen Frankreich erklingt zuerst der Gesang der Troubadoure und erweckt bald darauf bei den germanischen Völkern die Kunst des Minnegesanges. Waren es in beiden Fällen vorwiegend die höhern Gesellschaftsklassen, welche sich der Pflege des Gesanges annahmen, so traten die bürgerlichen Elemente der Bevölkerung und die bis dahin gering geachtet gewesenen Instrumentalmusiker in gleicher Absicht zu zunftmäßig geordneten Genossenschaften zusammen und förderten, wenn auch in beschränkter Weise, das Verständnis für Dicht- und Tonkunst. Die Schulen der Meistersinger in Nürnberg, Ulm, Straßburg, die Instrumentalgenossenschaften: Nikolai-Bruderschaft zu Wien (1288) und Confrérie de Saint-Julien des ménestriers zu Paris (1330, s. Musikantenzünfte) dürfen in diesem Sinn musikgeschichtliche Bedeutung beanspruchen, wie tief auch ihre Leistungen an Kunstwert unter denen der Troubadoure und Minnesänger stehen und nicht minder unter den Erzeugnissen des Volksgesanges, von dessen hoher Blüte zu damaliger Zeit das neuerdings in der Bibliothek zu Wernigerode aufgefundene, im 15. Jahrh. verfaßte sogen. Lochheimer Liederbuch unzweideutige Kunde gibt.

Weit entfernt, der ausschließlich von der Kirche gepflegten Kunstmusik hinderlich in den Weg zu treten, gewährte vielmehr dieser Aufschwung des weltlichen Gesanges den niederländischen Kontrapunktisten eine schätzbare Unterstützung zur Lösung ihrer Aufgabe, im allgemeinen durch die ermutigende Teilnahme, welche nun auch aus weitern Kreisen ihren Arbeiten entgegengebracht wurde, im besondern, indem ihnen der Volksgesang das melodiöse Material zu ihren Kompositionen lieferte; denn auf selbständige Erfindung von Melodien mußte die Kunstmusik verzichten, solange der Kampf mit der Technik des mehrstimmigen Tonsatzes die Kraft des Komponisten für sich allein in Anspruch nahm. Dies erklärt die der heutigen Zeit befremdliche Verwendung volkstümlicher Melodien zum thematischen Inhalt der Messen, Motetten und andrer Kirchenkompositionen der niederländischen Schule sowie die noch auffallendere Praxis jener Zeit, die dem Volksgesang entnommene Melodie, sofern sie als Gegenstimme zu einer Melodie des Gregorianischen Gesanges ertönte, mit ihrem weltlichen Text zu dem lateinischen der andern Melodie singen zu lassen. Das ausschließliche Streben nach Beherrschung der Form und die Freude an der Überwindung der kontrapunktischen Schwierigkeiten war endlich auch noch die Ursache der für die niederländische Schule charakteristischen Neigung, die früher erwähnte Verwickeltheit der Mensuralnotation nicht nur nicht zu vermindern, sondern geflissentlich zu erhöhen. Namentlich schienen die Nachahmungen in Kanonform bestimmt, den Scharfsinn des Tonsetzers wie des Ausführenden auf die Probe zu stellen, und wenn man sich anfangs begnügte, wie auch heute bei Notierung eines Kanons nur eine Stimme hinzuschreiben und den Eintritt der übrigen Stimmen durch ein Zeichen anzudeuten, so unternahm man es später, selbst gleichzeitig eintretende Stimmen mit nur einer Notenreihe [923] zu notieren, der Kunst des Sängers es überlassend, aus den hinzugefügten Zeichen die Absicht des Komponisten zu enträtseln. Ihren Höhepunkt erreichte diese Richtung mit Johannes Ockenheim (Okeghem, etwa 1455–90 am Hof der Könige von Frankreich angestellt), von dem unter anderm eine Messe existiert, in welcher das „Kyrie“ statt der Schlüssel, Taktzeichen etc. nur mit einem Fragezeichen versehen ist. Dennoch zeigt sich schon bei diesem Meister, der mit Recht als der Vater des Kontrapunktes gilt, neben der scholastischen Künstelei das Streben nach ausdrucksvoller Tongestaltung, und es bedurfte nur noch eines Menschenalters weiterer Arbeit, um dem geistigen Gehalt der M. im Kampf gegen die spröde Materie zum Sieg zu verhelfen: mit Josquin des Prés (gest. 1521), einem Schüler Ockenheims und wie dieser am französischen Königshof vorwiegend wirksam, ist die Entwickelungsperiode des niederländischen Kontrapunktes überwunden und an Stelle des mühseligen Stimmenkombinierens die freie Entfaltung des schöpferischen Geistes getreten; er ist der erste der Niederländer, dessen Werke von echter Genialität erfüllt sind, und mit Recht konnte sein Zeitgenosse Martin Luther von ihm sagen: „Josquin ist ein Meister der Noten; diese haben thun müssen, wie er gewollt, andre Komponisten müssen thun, wie die Noten wollen“.

III. Die Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts.

Die mächtige Anregung, welche um diese Zeit das gesamte geistige Leben Europas durch die wieder erwachte Teilnahme für Kunst und Wissenschaft des Altertums erhalten hatte, und die infolgedessen eingetretene Verfeinerung des Geschmacks trugen wesentlich zu dem Erfolg der niederländischen Tonsetzer bei; nicht minder auch die Kirchenreform Luthers mit ihrer auf individuelle religiöse Bethätigung gerichteten Tendenz, kraft welcher die Gemeinde nach jahrhundertelanger Ausschließung vom Kirchengesang sich wiederum an demselben zu beteiligen hatte, sowie endlich die bald nach Erfindung der Buchdruckerkunst gemachte Erfindung des Ottaviano dei Petrucci, Musiknoten mit beweglichen Metalltypen zu drucken. Dieselben Ursachen aber, welche die Kunst der Niederländer zur vollen Reife gebracht, setzten auch ihrer Alleinherrschaft ein Ziel, denn mit der durch Kirchenreform und Renaissance bewirkten geistigen Befreiung des Individuums erwachte auch bei den andern Völkern die musikalische Produktionskraft; vor allen bei den Italienern, die noch im Verlauf des 16. Jahrh. den Beweis liefern konnten, daß sie, wenn auch zeitweilig vom musikalischen Kampfplatz verdrängt, doch an ihren natürlichen Anlagen keine Einbuße erlitten hatten. Denn die von den Niederländern Claude Goudimel (gest. 1572) und Adrian Willaert (gest. 1562) in Rom und Venedig gestifteten Schulen erreichten erst dann ihre eigentliche Höhe, nachdem dort Palestrina (1524–1594), hier die beiden Gabrieli, Andreas (gest. 1586) und sein Neffe Giovanni (gest. 1612), an die Spitze getreten waren. Namentlich wurde Palestrinas Wirken für die Zukunft der italienischen M. von höchster Bedeutung, denn als beim Konzil von Trient die Klage laut wurde, daß die polyphone oder Figuralmusik in ihrem damaligen komplizierten Zustand der Würde des Gottesdienstes mehr nachteilig als vorteilhaft und deshalb ganz aus demselben zu verbannen sei, da waren es seine im Auftrag des Konzils komponierten drei Messen (darunter die berühmte, dem Andenken seines Gönners, des Papstes Marcellus, geweihte „Missa papae Marcelli“), welche die Untersuchungskommission überzeugten, daß die Hauptbedingungen einer wirkungsvollen Vokalmusik, deutliches Hervortreten der Melodie und Verständlichkeit der Textesworte, auch mit Anwendung der kunstvollsten Kontrapunktik recht wohl erfüllt werden können. Durch diese Messen, deren Aufführung 19. Juni 1565 unter dem begeisterten Beifall der zur Entscheidung obiger Frage versammelten Kardinäle stattfand, wurde die polyphone Kirchenmusik vor dem Untergang bewahrt, den ihre Lostrennung vom katholischen Gottesdienst unvermeidlich nach sich gezogen hätte. Zugleich aber war den Italienern ein ihnen eigentümlicher Kirchenstil geschaffen, welcher in seiner edlen Einfachheit und Erhabenheit als klassisch gelten darf und unter der Bezeichnung „Palestrina-Stil“ für alle spätern Kirchengesangskomponisten mustergültig geworden ist.

Dem Beispiel Italiens folgte zunächst Deutschland. Schon im 15. Jahrh. hatte ein Deutscher, Heinrich Isaak aus Basel (gest. um 1530), mit den angesehensten der niederländischen Kontrapunktisten wetteifern können; sein Schüler Ludwig Senfl aber, der Zeitgenosse und Lieblingskomponist Luthers, zeigt in seinen Tonsätzen bereits jene Freiheit, welche die Arbeiten der vorhin genannten Italiener von denen ihrer niederländischen Vorgänger vorteilhaft unterscheidet. In Deutschland war es auch, wo der letzte große Niederländer, Orlandus Lassus (Roland de Lattre, gest. 1594 in München), die Stätte seiner erfolgreichsten Wirksamkeit fand und eine Schule begründete, welche sich unter andern durch Johannes Eccard (gest. 1611 in Berlin) fortpflanzte. Mit diesen Künstlern, zu denen noch Hans Leo Hasler (gest. 1612) gehört, ein Schüler des A. Gabrieli, hatte die polyphone Gesangsmusik den Höhepunkt ihrer Entwickelung erreicht. Mittlerweile aber war ihr eine Gegnerschaft entstanden, hervorgerufen durch die Bestrebungen, das antike Musikdrama wieder zu neuem Leben zu erwecken. Der Schauplatz dieser Bewegung war Florenz, wo in einem Kreis von Künstlern und Gelehrten die Frage erörtert wurde, durch welche Mittel die von den Schriftstellern des Altertums der M. der Tragödie zugeschriebene Wirkung zu erreichen sei. Überzeugt, daß der mehrstimmige Gesang auch in der freien Form des weltlichen Liedes, des im Lauf des 16. Jahrh. zu hoher Blüte gelangten Madrigals (s. d.), zum Ausdruck dramatischer Leidenschaften ungenügend sei, suchte man nach einer hierfür geeignetern Gesangsform und fand sie in der bis dahin als Kunstgattung unbekannt gewesenen Monodie („Einzelgesang“) sowie namentlich in dem zwischen Gesang und Sprache die Mitte haltenden Vortrag derselben, den man Stilo rappresentativo oder recitativo nannte. Mit diesen Hilfsmitteln unternahm der Kapellmeister Jacopo Peri die Komposition des Dramas „Daphne“ von Rinuccini, und die Aufführung dieses Werkes in dem oben genannten Kreis fand solchen Beifall, daß man sich überzeugt hielt, die dramatische M. der Alten sei nun wirklich wieder aufgefunden. Eine zweite Arbeit dieser Männer aber, die „Euridice“, war berufen, einen Markstein in die Geschichte der M. zu bilden; denn mit der Aufführung dieses Werkes zu Florenz bei den Feierlichkeiten der Vermählung Heinrichs IV. von Frankreich mit Maria von Medici (1600) tritt diejenige Kunstgattung ins Leben, die von nun an ununterbrochen die musikalische Welt beschäftigen sollte: die moderne Oper.

Darf Florenz mit Recht als Geburtsstätte der zu dieser Zeit noch Dramma oder Tragedia per musica [924] genannten Oper gelten, so wurde der Schauplatz ihrer ersten und wichtigsten Entwickelungsjahre Venedig. Durch seine geographische Lage den das übrige Italien beherrschenden politischen und kirchlichen Einflüssen entzogen, denen der Nachbarnationen, namentlich des Orients, dagegen um so leichter zugänglich, hatte sich die Republik bei wachsendem Wohlstand auch nach geistiger Seite eigenartig entwickeln können, hatte das dortige Leben jenen glänzenden, farbenprächtigen Charakter gewonnen, welcher nicht nur die Werke der bildenden Kunst, sondern auch seit Willaerts Zeit, namentlich aber unter dessen Schülern, den Gabrieli, die Kirchenmusik der Venezianer von denen der andern italienischen Schulen unterscheidet. Die hier waltende Freiheit im Gebrauch der künstlerischen Ausdrucksmittel, verbunden mit ausgeprägtem, dem Phantastischen zugeneigtem Schönheitssinn, mußte auch der Oper in ihrer weitern Ausbildung wesentlich zu statten kommen, und in der That nimmt dieselbe hier mit Claudio Monteverde (gest. 1643) einen Aufschwung, welchen die Florentiner Akademiker schwerlich geahnt hatten. Monteverdes Streben ging in erster Reihe dahin, die musikalischen Hilfsmittel zur Charakteristik und Darstellung leidenschaftlich erregter Gemütszustände zu vermehren, und er erreichte dies teils durch freieste Verwendung der Dissonanzen, teils durch Benutzung der Orchesterinstrumente je nach ihrer Individualität zur Charakterisierung der handelnden Personen und der darzustellenden Situationen. Auch für diese Neuerungen war in Venedig gewissermaßen schon der Boden bereitet, denn hier hatte 1544 ein Schüler Willaerts, Cyprian de Rore, mit seinen „Chromatischen Madrigalen“ das Signal gegeben zur Durchbrechung der strengen Diatonik der Kirchentöne, während der ebenfalls aus Willaerts Schule stammende Theoretiker Zarlino in seinen „Istituzioni harmoniche“ (1557) die Einführung der zur Ausbildung des modernen Harmoniesystems notwendig gewordenen temperierten Stimmung angebahnt hatte. Endlich war auch die Instrumentalmusik mit den Toccaten des Claudio Merulo (1557 Organist an der Markuskirche) hier zuerst als selbständige Kunst ins Leben getreten, nachdem sie bis dahin die Formen von der Vokalmusik hatte borgen müssen. So fand Monteverdes Thätigkeit, wenn auch anfangs heftig bekämpft, doch einen im allgemeinen günstigen Boden und war schließlich von solchem Erfolg gekrönt, daß Venedig ein volles Jahrhundert hindurch als hohe Schule der Oper gelten konnte. Unter den zahlreichen dramatischen Werken, die er hier zur Aufführung brachte, fand die „Arianna“ den meisten Beifall. In die Zeit seines Wirkens fällt auch ein für den Fortschritt der Oper wichtiges Ereignis, als dessen mittelbarer Urheber jedenfalls er anzusehen ist: die Gründung des ersten öffentlichen Opernhauses (San Cassiano, 1637), infolgedessen die Oper ihren Charakter als bloße Hoffestlichkeit verlor und dem großen Publikum zugänglich gemacht wurde.

Der Geschmacksveränderung gegenüber, welche die Verbreitung der dramatischen M. im Gefolge hatte, mochte sich auch die Kirche nicht länger mit den bis dahin gebräuchlichen Darstellungsmitteln begnügen, und es beginnt nunmehr für die geistliche M. eine Bewegung, welche geradeswegs zur Passion Bachs und zum Oratorium Händels führte. Die Leidensgeschichte Christi war zwar schon im Mittelalter ein Gegenstand der dramatisch-musikalischen Darstellung gewesen, doch war die sie begleitende M. entweder durch rituelle Vorschriften oder (sofern die Passionsspiele von Laien veranstaltet waren) durch Vorherrschen eines derb-volkstümlichen Elements gehindert, zu künstlerischer Bedeutung zu gelangen. Eine freiere Bewegung war ihr bei den Zusammenkünften gestattet, welche während der Fastenzeit behufs geistlicher Erbauung in den italienischen Klöstern veranstaltet wurden (nach dem Betsaal, in dem sie stattfanden, Congregazioni del oratorio genannt), besonders nachdem der römische Priester Filippo Neri (gest. 1595) auf den Gedanken gekommen war, seine Erklärung der Schrift durch beziehungsvoll eingeflochtene Chorgesänge gleichsam illustrieren zu lassen, und in dem päpstlichen Kapellmeister Animuccia, nach dessen Tod aber in seinem Nachfolger Palestrina willige Gehilfen gefunden hatte. Inzwischen hatte auch die bei der kirchlichen Darstellung der Passion mitwirkende M. eine dramatische Färbung erhalten, wie dies unter anderm die Passionschöre (turbae) des Spaniers Vittoria (1575 Kapellmeister an der Apollinariskirche zu Rom) deutlich erkennen lassen, und es bedurfte nur noch des von Florenz gegebenen Impulses, um neben dem weltlichen auch das geistliche Musikdrama (nun Oratorio genannt, indem man den Namen des Schauplatzes auf die Sache selbst übertrug) ins Leben zu rufen. In demselben Jahr (1600), welches die moderne Oper entstehen sah, wurde auf einer Bühne im Betsaal des Klosters Santa Maria in Vallicella zu Rom das geistlich-allegorische Musikdrama „La rappresentazione di anima e di corpo“ von Cavaliere zum erstenmal aufgeführt und damit der dramatischen M. ein neues Gebiet eröffnet, auf welchem sie ihre Macht um so mehr bewähren konnte, als sie im Oratorium die Aufgabe hatte, durch Lebhaftigkeit der Schilderung für die (wenigstens von Händels Zeit an) mangelnden szenischen Zuthaten Ersatz zu leisten. Ein weiteres Eindringen des dramatischen Elements in die Kirche bewirkten Viadana (gest. 1645 in Gualtieri) durch seine „Kirchenkonzerte“, geistliche Stücke für eine und mehrere Singstimmen, von einem Orgelbaß begleitet, dem sogen. Basso continuo (s. d.), und Carissimi (gest. 1674), dessen Oratorien: „Jephtha“, „Das Urteil des Salomo“ etc. an Belebtheit des Ausdrucks, namentlich der Chöre, den Händelschen bereits nahekommen.

Nach dem Tode dieses Meisters beginnt die geistliche M. Italiens unter dem Einfluß der Oper immer mehr zu verweltlichen. Dagegen widmet sich von nun an Deutschland mit um so größerm Eifer der Pflege der kirchlichen Tonkunst, und hier verdient Heinrich Schütz (gest. 1672 in Dresden) in erster Reihe genannt zu werden. Schütz, zwar in der venezianischen Schule der Gabrieli ausgebildet, dessenungeachtet aber durchaus als Deutscher empfindend, begnügt sich nicht mehr mit der bloßen Darstellung der Leidensgeschichte, sondern er fügt ihr, wenn auch nur in beschränktem Maß, jene Betrachtungen der Gemeinde hinzu, in welchen wir bei Bach neben dem epischen und dramatischen Element noch das lyrische zur reichsten Entfaltung gelangen sehen. Als Mittelglieder zwischen ihm und Bach sind noch zu erwähnen: der brandenb. Kapellmeister Sebastiani, in dessen noch in Schütz’ Todesjahr erschienenem Passionswerk zuerst der protestantische Choral mit der musikalischen Darstellung der Leidensgeschichte beziehungsreich verflochten erscheint; ferner der Hamburger Dichter Brockes als Verfasser eines Passionstextes (1712), welcher seiner Anlage nach den Kunstansprüchen der Zeit allseitig Genüge leistete. Die kunstgeschichtliche Bedeutung dieses Textes, der von [925] den damals berühmtesten Komponisten Keiser, Mattheson, Telemann, ja sogar von Händel in M. gesetzt, teilweise auch von Seb. Bach (für seine „Johannes-Passion“) benutzt worden ist, liegt hauptsächlich in der Gruppierung des Stoffes: den Szenen der biblischen Geschichte sind die Betrachtungen einer idealen Gemeinde gegenübergestellt, und zu diesen beiden Gruppen gesellt sich noch als dritte die wirkliche Gemeinde, vertreten durch den protestantischen Choral. Damit war die dichterische Form der Passion endgültig festgestellt, und indem diese Form durch Seb. Bachs (1685–1750) musikalischen Riesengeist belebt wurde, erhob sich die Passion zu einer künstlerischen Höhe, welche von keiner spätern Zeit wieder erreicht, geschweige übertroffen wurde. Der andre Zweig der geistlich-dramatischen M. aber, das Oratorium, gelangte um dieselbe Zeit durch Georg Friedr. Händel (1685–1759) zu der gleichen bis heute unübertroffenen Stufe der Vollendung: drei Jahre nach der ersten Aufführung der Bachschen „Matthäus-Passion“ zu Leipzig (1729) trat Händel in London mit seinem ersten Werk dieser Gattung: „Esther“, vor die Öffentlichkeit und dies mit solchem Erfolg, daß er sich einige Jahre später von der Oper, für die er bis dahin vorwiegend thätig gewesen, völlig zurückzog, um seine ganze Kraft dem Oratorium zu widmen.

Wenden wir uns nun zur Oper zurück, so sehen wir dieselbe schon zu Lebzeiten Monteverdes ihren Einfluß auch außerhalb Italiens geltend machen; zuerst in Deutschland, wo schon 1627 zu Torgau, bei Gelegenheit der Vermählung der Tochter des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen, die erste Opernaufführung stattfand. Man hatte für diese Veranlassung die früher genannte „Euridice“ von Rinuccini und Peri gewählt, welche von Opitz ins Deutsche übersetzt und, da Peris M. zu dieser Bearbeitung nicht mehr paßte, von Schütz mit neuer M. versehen war. Über den Erfolg dieses Versuchs ist indessen nichts bekannt geworden; er mußte auch schon deshalb ohne künstlerische Nachwirkung bleiben, weil die zunehmenden Wirren des Dreißigjährigen Kriegs die Pflege der Kunst in Deutschland überhaupt unmöglich machten. Unter weit günstigern Bedingungen hielt die Oper ihren Einzug in Frankreich, denn zu der Zeit, wo auf Veranlassung des Kardinals Mazarin die erste italienische Operntruppe in Paris erschien (1645), war die Epoche politischer und religiöser Unruhen längst abgeschlossen, und es hatten sich neben dem materiellen Wohlstand die künstlerischen Triebe der Nation frei entfalten können. Die Teilnahme, mit welcher hier die Oper aufgenommen wurde, war selbstverständlich eine lebhafte. Da jedoch der Geschmack des Publikums für dramatische Darstellungen durch Männer wie Corneille und Molière bereits in hohem Grad verfeinert war und die italienische Oper hinsichts des Textes demselben nicht zu genügen vermochte, so that sich bald das Bestreben kund, sie dem nationalen Kunstempfinden entsprechend um- und auszubilden. Allerdings hielten die tonangebenden Dichter, an ihrer Spitze Boileau, die französische Sprache für ungeeignet, sich im Drama mit der M. zu verbinden, doch ließen sich der Abbé Perrin und der damals angesehenste Komponist Frankreichs, Robert Cambert, dadurch nicht abschrecken, den Versuch zu wagen, und traten 1659 mit einem Singspiel: „Pastorale, première comédie française en musique“, hervor, welches durch die ihm zu teil gewordene günstige Aufnahme die Vorurteile der Dichter gründlich widerlegte. Nun ruhte Perrin nicht eher, als bis er vom König ein Privilegium erhalten hatte, Opernakademien nach Art der italienischen zu veranstalten, und 1671 konnte das erste Pariser Opernhaus mit der von den beiden Genannten verfaßten „Pomona“ eröffnet werden. Mittlerweile aber war dem jungen Unternehmen ein gefährlicher Gegner herangewachsen: der Florentiner Lully (1633–87), welcher erst als Violinist, dann als Komponist, endlich auch als Schauspieler sich mehr und mehr bei Ludwig XIV. in Gunst gesetzt hatte und, auf den Erfolg der „Pomona“ eifersüchtig, schon im nächsten Jahr das Perrin erteilte Privilegium an sich zu bringen wußte. Damit wurde er der unumschränkte Beherrscher des gesamten französischen Opernwesens, und er war es auch, welcher der französischen sogen. großen Oper die bis auf die Gegenwart für sie charakteristisch gebliebene Form gab. Dabei ist zu bemerken, daß die Wirkung seiner Opern, die sich noch fast ein Jahrhundert nach seinem Tod bis zum Auftreten Glucks (1774) auf dem Repertoire erhielten, weniger seiner musikalischen Begabung zuzuschreiben ist als vielmehr seiner Fähigkeit, durch geschickte Benutzung aller künstlerischen Darstellungsmittel die Vorstellung zu verwirklichen, welche man sich in Frankreich vom antiken Drama gebildet hatte. Einen wesentlichen Anteil an Lullys Erfolgen hatte demnach auch sein Dichter Ph. Quinault, dessen Texte sich streng an das antike Muster anschließen und übrigens an poetischem Werte den gleichzeitigen Arbeiten der italienischen Operntextdichter weit überlegen sind. Die musikalische Richtung Lullys auf ausdrucksvolle Rhythmik und wortgetreue Deklamation verfolgte auch J. Philippe Rameau (1683–1764), der einzige, dessen Werke sich während des erwähnten langen Zeitraums neben denen Lullys an der Großen Oper behaupten konnten. Dabei aber zeigte seine M. einen ungleich größern melodischen und harmonischen Reichtum, was sich schon dadurch erklärt, daß er mit seiner Thätigkeit als Opernkomponist eine nicht minder erfolgreiche als Organist und Theoretiker verband. In letzterer Eigenschaft wurde er der Begründer des noch heute gültigen Harmoniesystems, nach welchem der Dreiklang die Grundlage aller harmonischen Verbindungen bildet, und er war es auch, der mit seiner Schrift „Génération harmonique“ (1737) die schon ein Jahrzehnt zuvor durch J. S. Bach in seinem „Wohltemperierten Klavier“ praktisch demonstrierte gleichschwebende Temperatur, d. h. Einteilung der Oktave in zwölf gleichgroße Halbtöne, zur allgemeinen Anerkennung brachte. Verfolgen wir endlich die französische große Oper bis zum Höhepunkt ihrer Entwickelung, so treffen wir auf das Musikdrama von Christoph Wilibald Gluck (1714–87), der, von deutschem Ernst erfüllt und in der italienischen Schule gebildet, dennoch in Paris den einzig geeigneten Boden zur Ausführung seiner Reformen finden konnte und hier den in seiner Vorrede zur Oper „Alceste“ ausgesprochenen, wieder im wesentlichen denen Lullys folgenden Kunstprinzipien ungeachtet heftiger Opposition durch seine 1774 zum erstenmal aufgeführte „Iphigenia in Aulis“ zu entscheidendem Sieg verhalf.

Wiewohl Frankreich schon seit Mitte des 17. Jahrh. Italien den Rang der künstlerisch tonangebenden Nation streitig gemacht hatte, so konnte das letztere Land auf musikalischem Gebiet zu dieser Zeit noch keineswegs für geschlagen gelten; vielmehr gewinnt gerade im 18. Jahrh. die italienische Oper eine das gesamte Musikwesen dominierende Stellung. Diesmal [926] geht die Bewegung weder von Rom, noch von Florenz, noch auch von Venedig aus, sondern von Neapel, wo Alessandro Scarlatti (gest. 1725) eine Schule gegründet hatte, deren Jünger, ähnlich wie im 15. und 16. Jahrh. die Niederländer, bald in allen Hauptstädten Europas zu den höchsten musikalischen Ehrenstellen gelangten. A. Scarlatti, in der römischen Schule des Carissimi gebildet, leistete gleich Bedeutendes im kirchlichen wie im dramatischen Stil, endlich auch im Kammerstil, einer durch Carissimi vervollkommten Kunstgattung, welche, frei vom Zwang sowohl des kirchlichen Ritus als der theatralischen Szenerie, der Tonkunst als solcher zu weit reicherer Entfaltung Gelegenheit gab, als es in den übrigen Stilen möglich war. Überdies war er ein trefflicher Dirigent, Sänger und selbst Klavierspieler, wenn auch in letzterer Eigenschaft von seinem Sohn Domenico Scarlatti übertroffen. Dieser Vielseitigkeit des Meisters entsprechend, hat auch die durch seine Schüler Francesco Durante (gest. 1755) und Leonardo Leo (gest. 1756) völlig ausgebildete neapolitanische Schule die M. auf allen ihren Gebieten gefördert; hauptsächlich freilich auf dem der Oper, welche schon A. Scarlatti durch geschickte Darstellung des Komischen und Charakteristischen mit rein musikalischen Mitteln wesentlich bereichert hatte. Weiter führte die Richtung der Neapolitaner – deren Stil man den „schönen“ nannte, im Gegensatz zu dem „erhabenen“ der römischen Schule (dem sogen. Palestrina-Stil) – zu jener hohen Blüte des Kunstgesanges und des Instrumentalvirtuosentums, welche für die M. des 18. Jahrh. charakteristisch wurde. Aus der zu Bologna von Pistocchi 1700 gegründeten Gesangschule gingen ein Senesino (Francesco Bernardo), eine Cuzzoni und Faustina Hasse hervor, deren Leistungen das Publikum in so hohem Grad fesselten, daß die der Komponisten, selbst der besten, daneben verhältnismäßig unbeachtet blieben. Wenn unter solchen Umständen die Opera seria mehr und mehr im Formenwesen erstarrte, die Kirchenmusik aber ungeachtet der Bemühungen einzelner Neapolitaner, wie Pergolese (gest. 1736), Jomelli (gest. 1774), sowie der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts wirkenden Venezianer Lotti, Caldara und Marcello in der Berührung mit der Oper zusehends verflachte, so erschloß sich den ernster strebenden Musikern ein neues Feld ihrer Thätigkeit in der Instrumentalmusik. Das Orgelspiel, schon seiner Beziehungen zur Kirche wegen weit früher als die übrigen Instrumente zu höhern Kunstzwecken verwendet und bereits Anfang des 17. Jahrh. durch den römischen Organisten Frescobaldi in umfassender Weise vervollkommt, erreicht den Höhepunkt seiner Ausbildung in Deutschland, wo der Hallesche Organist Samuel Scheidt (gest. 1654) die Reihe berühmter Organisten eröffnet, in welcher Namen wie Froberger, Pachelbel, Buxtehude, endlich Sebastian Bach als Glanzpunkte erscheinen. Nicht minder eifrig wird das Klavierspiel gepflegt, wenn auch anfänglich mehr zum Unterricht als zum Zweck der Virtuosität. Zwar diente das Klavier schon im 17. Jahrh. den englischen Organisten der Königin Elisabeth, Bird, Morley u. a., unter dem Namen Virginal sowie den französischen Organisten Marchand und Couperin unter dem Namen Clavecin als Soloinstrument; seine eigentliche Bedeutung als solches aber dankt es der um 1710 gemachten Erfindung des Paduaners Cristofori, die Tasten am obern Ende mit Hämmern zu versehen, welche, verbunden mit einem Dämpfungsmechanismus, dem Spieler gestatteten, leise und stark (piano und forte) zu spielen. Das so konstruierte Instrument, Pianoforte genannt, verdrängte bald die ältern Arten des Klaviers, deren Saiten, durch Metallstifte angeschlagen oder durch Rabenfederkiele gerissen, nur in einerlei Stärke erklingen konnten, und wurde, nachdem bald darauf durch Domenico Scarlatti (gest. 1757) und Philipp Emanuel Bach (gest. 1788) der Übergang zur Technik des modernen Klavierspiels vermittelt war, unter den Händen eines Mozart und Beethoven zum geeignetsten Ausdrucksorgan der tondichterischen Phantasie, bereit, dem Flug derselben überallhin zu folgen (vgl. Klavier). Von den übrigen Instrumenten machten namentlich die Streichinstrumente während des 17. und 18. Jahrh. überraschende Fortschritte. Von den zwei Hauptgattungen derselben, der Arm- und Kniegeige (viola da braccio und viola da gamba) mit ihren zahlreichen Unterarten, sonderten sich vier aus, die noch heute gebräuchlichen: Violine, Bratsche, Violoncello und Kontrabaß, und von diesen fand wiederum die erstere eine so liebevolle Pflege, daß sie bald zur Königin der Orchesterinstrumente wurde. In den italienischen Violinschulen des Corelli (Rom) und Vivaldi (Venedig) erreichte während der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht nur die Technik des Violinspiels eine außerordentliche Höhe, sondern es dankt ihnen auch die Tonkunst eine wichtige Bereicherung durch neue Formen, wie z. B. in dem durch Vivaldi ausgebildeten dreisätzigen Konzert die für die cyklischen Werke der modernen Instrumentalmusik maßgebende Sonatenform bereits festgestellt ist. Und hier darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Kunst des Geigenbaues ebenfalls in Italien, besonders in Cremona, durch geschickte, ja geniale Meister, wie die Mitglieder der Familie Amati (deren Stammvater Andreas schon 1546 erscheint), der Guarneri, endlich um 1700 A. Stradivari, zur höchsten Blüte gelangt war, derart, daß ihre Erzeugnisse noch heute als unübertrefflich anerkannt sind.

Wie im 17. Jahrh., so übten auch jetzt die musikalischen Errungenschaften Italiens einen unmittelbaren Einfluß auf das Musikleben ganz Europas. Keine derselben aber wirkte in gleichem Maß anregend wie die von den Neapolitanern ausgebildete Opera buffa, und namentlich war es Frankreich, welches dieselbe mit Freude und Begeisterung aufnahm, da hier die während der ersten Hälfte des Jahrhunderts zur Herrschaft gelangte sogen. Aufklärungsphilosophie der für die Formen des Lebens wie der Kunst eingetretenen Erstarrung den Krieg erklärt und die Rückkehr zum Natürlichen als einzig wünschenswert bezeichnet hatte. Allerdings fand die erste in Paris gastierende Opera buffa (1752) neben dem enthusiastischen Beifall der Fortschrittspartei einen nicht minder energischen Widerstand auf seiten der Konservativen und mußte sogar vor den Kabalen der letztern schon nach zwei Jahren das Feld räumen; jedoch sollte das von den Italienern gegebene Beispiel unmittelbar die reichsten Früchte tragen, indem es die Thätigkeit der französischen Dichter und Musiker zu demjenigen Gebiet der dramatischen Kunst hinleitete, auf welchem Frankreich zu herrschen berufen war und in der That nach kurzem die erste Stellung errang: die komische Oper. Nachdem man durch Übersetzung der von den Buffonisten hinterlassenen Texte, vor allen der „Serva padrona“ (M. von Pergolese), den ersten Schritt zur nationalen Umbildung dieser Kunstgattung gethan, traten die angesehensten Dichter Frankreichs, Sedaine, [927] Marmontel u. a., mit Originaldichtungen hervor und fanden sofort ebenbürtige musikalische Mitarbeiter in Philidor, Monsigny und Grétry, welch letzterer 1768 mit Marmontels „Huron“ in Paris debütierte und seitdem mit Recht der Liebling des französischen Publikums war; denn er gab der komischen Oper diejenige Vollendung, durch welche sie, wie O. Jahn bemerkt, noch heute die echte Repräsentantin des nationalen Charakters der Franzosen auf dem Gebiet der dramatischen M. ist. Einen ähnlichen Umschwung bewirkte die Opera buffa in Deutschland, wenn auch hier die Bedingungen zur Ausbildung einer nationalen Oper weit weniger günstig waren als in Frankreich. Inmitten des Elends, welches der Dreißigjährige Krieg im Gefolge gehabt, war das deutsche Nationalbewußtsein so tief gesunken, daß man sich der geistigen Fremdherrschaft willig unterworfen hatte, und namentlich war die Opernbühne ausschließlich in den Händen der Italiener oder doch solcher Deutschen, die, wie Fux in Wien (gest. 1741), Graun in Berlin (gest. 1759), Hasse in Dresden (gest. 1783), sich künstlerisch ganz und gar italienisiert hatten. Von den deutschen Fürsten war eine Änderung dieser Zustände vorläufig nicht zu erwarten; selbst der patriotischte unter ihnen, Friedrich d. Gr., wollte bekanntlich von einer vaterländischen Kunst nichts wissen, und seine Äußerung, „er wolle lieber von einem Pferd sich eine Arie vorwiehern lassen als an seiner Oper eine deutsche Sängerin anstellen“, beweist, daß er für die M. keine Ausnahme machte. Die einzige Stadt Deutschlands, welche sich bald nach dem Dreißigjährigen Krieg dem Einfluß des Auslandes mit Erfolg zu entziehen suchte, war Hamburg, wo nicht nur die deutsche Kirchen- und Kammermusik während des 17. Jahrh. eine besonders bereitwillige Pflege gefunden hatte, sondern auch 1678 eine nationale Opernbühne ins Leben gerufen war. Da es derselben jedoch an Dichtern fehlte, welche fähig gewesen wären, dem Geschmack der Gebildeten und dem des Volkes gleichzeitig Genüge zu leisten, und der letztere aus materiellen Gründen mehr und mehr die Oberhand gewann, so sank die Hamburger Oper nach kurzer Blüte wieder herab und artete schließlich zur gemeinen Posse aus. Im J. 1738, nachdem die angesehensten Musiker Deutschlands, Reinhard Keiser, Mattheson, zeitweilig auch Händel, sich vergebens bemüht hatten, ihr das Leben zu fristen, mußte sie geschlossen werden, und die Italiener konnten nun auch in Hamburg ihren siegreichen Einzug halten. Auch der Aufschwung, den die deutsche Dichtung um diese Zeit mit Gottsched nahm, vermochte zur Hebung der deutschen Oper nicht beizutragen, vielmehr geriet sie noch weiter in Mißkredit, nachdem der genannte Professor in seiner „Kritischen Dichtkunst“ (1729) die Oper als „das ungereimteste Werk“ bezeichnet hatte, „das der menschliche Geist jemals erfunden habe“, und selbst Männer wie Gleim und Lessing das deutsche Singspiel (Operette) als kulturfeindlich bekämpft hatten. Es bedurfte des in Frankreich gegebenen Beispiels, um die Aufmerksamkeit der künstlerischen Kreise Deutschlands aufs neue dieser Kunstgattung zuzuwenden, sowie des Talents des Dichters Chr. Fel. Weiße und des Komponisten J. A. Hiller (beide in Leipzig), um die Abneigung der Gebildeten gegen das deutsche Singspiel zu überwinden. Das von den letztgenannten verfaßte Singspiel „Der Teufel ist los, oder: die verwandelten Weiber“ fand bei seinem ersten Erscheinen (1765) ungeteilten Beifall, und die weitern Opern Hillers, namentlich „Der Dorfbarbier“ und „Die Jagd“, wurden schnell in ganz Deutschland beliebt, obwohl man sich allerorten für ihre Darstellung mit untergeordneten, von der italienischen Oper verschmähten Gesangskräften begnügen mußte. Einen noch günstigern Boden für ihre Entwickelung fand die deutsche Oper in Wien, nachdem in demselben Jahr Joseph II. den Thron bestiegen und der nationalen Kunst seine Teilnahme zugewendet hatte. Unter seiner persönlichen Fürsorge gewann die Operette bald ein solches Ansehen, daß selbst ein Goethe ihr seine Thätigkeit widmete, und als endlich Wolfgang Amadeus Mozart (1756–91), der bis dahin ausschließlich für die italienische Oper thätig gewesen war, unter dem Schutz des Kaisers seinen Lieblingswunsch, eine deutsche Oper zu komponieren, verwirklichen konnte (die 1782 zum erstenmal aufgeführte „Entführung aus dem Serail“), trat auch in Deutschland die nationale Oper ins Leben.

Noch weit wichtigere Dienste aber leistete Deutschland während des 18. Jahrh. der Tonkunst auf dem Felde der Instrumentalmusik, welche im Verlauf desselben durch Joseph Haydn (1732–1809), Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven (1770–1827) derart vervollkommt war, daß sie nunmehr der Vokalmusik ebenbürtig zur Seite stehen konnte. Wie Bedeutendes auch diese Meister in allen Gattungen der Komposition geschaffen haben, so liegt doch der Schwerpunkt ihrer Leistungen in der Ausbildung der cyklischen Instrumentalformen: der Sonate, des Streichquartetts, der Orchestersymphonie. In diesen Gattungen, welchen allen die Form der modernen Sonate zu Grunde liegt, konnte die Kunst des Tondichters sich um so reicher entfalten, als hier die einzelnen Sätze untereinander organisch verbunden sind, im Gegensatz zu den ältern Instrumentalformen, der Partita und der Suite, in welchen eine Anzahl von Tonstücken, vorwiegend Tänze, zwar cyklisch aneinander gereiht, doch ohne innere organische Beziehung zu einander erscheinen. Was den Ursprung der erstern, künstlerisch ungleich höher stehenden cyklischen Form betrifft, so ist derselbe auf die dreiteilige Opernouvertüre zurückzuführen, in der Gestalt, welche sie in Italien durch A. Scarlatti erhalten hatte, nämlich mit einem Anfang und Schlußsatz in lebhafter, und einem Mittelsatz in langsamer Bewegung. Bei immer zunehmender Ausdrucksfähigkeit der Instrumente hatte man begonnen, diese Ouvertüre auch außerhalb des Theaters, zu Konzertzwecken, zu benutzen, was in der Folge zu einer Trennung und innern Durchbildung der drei Sätze führte, wobei jedoch die Einheit des Ganzen nicht aus dem Auge gelassen wurde. Als das Ergebnis dieses Prozesses entstand das schon erwähnte italienische Violinkonzert des Vivaldi und die Klaviersonate des Ph. Em. Bach, beide Muster der Sonatenform, welche von Haydn und Mozart zwar mit neuem, reichem Geist erfüllt, im wesentlichen jedoch (abgesehen von der Hinzunahme eines vierten Satzes, des der Suite entlehnten Menuetts) unverändert gelassen wurde. Beethoven endlich war es vorbehalten, diese Form bis zur äußersten Grenze ihrer Erweiterungsfähigkeit zu führen und sie, wie R. Wagner in seiner Schrift „Zukunftsmusik“ sagt, „mit einem so unerhört mannigfaltigen und hinreißenden melodischen Inhalt zu erfüllen, daß wir heute vor der Beethovenschen Symphonie wie vor dem Markstein einer ganz neuen Periode der Kunstgeschichte überhaupt stehen; denn durch sie ist eine Erscheinung in die Welt getreten, von welcher die Kunst keiner Zeit und keines Volkes [928] etwas auch nur annähernd Ähnliches aufzuweisen hat. Indem hier die M. eine Sprache redet, die mit ihrer freien und kühnen Gesetzmäßigkeit uns mächtiger als alle Logik dünken muß, während doch das vernunftgemäße, am Leitfaden von Grund und Folge sich bewegende Denken hier gar keinen Anhalt findet, muß uns Beethovens Symphonie geradeswegs als eine Offenbarung aus einer andern Welt erscheinen.“

Wie nach jeder schöpferisch reichen Kunstepoche sich das Bestreben zeigt, das in der Praxis Errungene auch theoretisch zu rechtfertigen und zu befestigen, so folgte auch dem Aufschwung der dramatischen und der Instrumentalmusik eine rege Thätigkeit seitens der Theoretiker. Während die großen Tonlehrer der frühern Epoche, der schon genannte Venezianer Zarlino und der als Kapellmeister in Bologna 1678 gestorbene Bononcini, die polyphone Gesangsmusik zur Grundlage des Kompositionsstudiums gemacht hatten, nehmen die Methoden Rameaus und J. S. Bachs ihren Ausgangspunkt von den Klaviaturinstrumenten. Die Harmonie, der Akkord, ist nach ihrer Auffassung nicht mehr das zufällige Ergebnis des Zusammenerklingens zweier oder mehrerer Melodien, sondern die notwendige, durch die Natur gegebene Ergänzung jeder einzelnen Tonreihe, wie dies Rameau an den zu jedem Ton miterklingenden Obertönen (am deutlichsten die Oktave, Quinte und Terz), der Violinist Tartini in seinem 1754 erschienenen „Trattato di musica“ an dem sogen. Kombinationston, d. h. einem zu zwei höhern Tönen mitklingenden tiefern Ton, nachzuweisen suchten. Die so begründete harmonische Vervollständigung der Melodie darzustellen, war die Aufgabe des Generalbasses, und da der ihn ausführende Künstler sich keineswegs darauf beschränkte, die bloßen durch die Ziffern angezeigten Akkorde hören zu lassen, sondern die melodischen Motive auch in der Begleitung kunstgemäß zu verwerten hatte, so wurde die Kunst des Generalbaßspielens nach und nach zum Inbegriff alles dessen, was zur Technik der Tonsetzkunst gehörte. In dieser Bedeutung erscheint sie in dem 1711 veröffentlichten Werk des Dresdener Kapellmeisters J. D. Heinichen: „Der Generalbaß in der Komposition“, wie auch in den von J. S. Bach hinterlassenen „Vorschriften und Grundsätze zum vierstimmigen Spielen des Generalbaß oder Akkompagnement“; und wenn auch Fux in seinem „Gradus ad Parnassum“ (1725) und später der Bologneser Giambattista Martini in seinem „Saggio di contrappunto“ (1774) auf die ältere Methode zurückgingen, so behauptete sich doch die auf den Generalbaß gegründete Lehre, namentlich seitdem sie durch die Berliner Theoretiker Kirnberger („Kunst des reinen Satzes“, 1774) und Marpurg („Abhandlung von der Fuge“, 1753) vervollständigt war, für die Folgezeit als die herrschende. Zur Verdrängung der ältern Lehre wirkte noch der Umstand mit, daß die durch Ausbildung des Einzelgesanges und dessen Begleitung veränderte Stellung und wesentliche Bereicherung der Harmonie eine Vereinfachung des Tonsystems zur notwendigen Folge gehabt hatte. Um das auf harmonischem Gebiet Errungene, um die besonders nach Einführung der gleichschwebenden Temperatur gewonnene unbeschränkte Freiheit im Modulieren völlig zu genießen, verzichtete man auf die melodische Mannigfaltigkeit der Kirchentonarten und begnügte sich von nun an mit zwei Tonarten: die Oktavengattungen mit großer Terz wurden auf die ionische, die mit kleiner Terz auf die äolische zurückgeführt, und damit war das bis zur Gegenwart herrschend gebliebene Dur- und Mollsystem endgültig angenommen.

Zu diesen Fortschritten kommt noch der für die M. des 18. Jahrh. charakteristische Aufschwung der Musikwissenschaft. Die Geschichte der M., von frühern Schriftstellern nur gelegentlich berührt und meist in phantastischer Weise behandelt (wie z. B. in der 1650 zu Rom erschienenen „Musurgia universalis“ des Jesuiten Athanasius Kircher), wird ein Gegenstand systematischen Studiums. Als einer der ersten namhaften Musikhistoriker erscheint in Deutschland der Sorauer Kantor Printz mit seiner 1690 veröffentlichten „Historischen Beschreibung der edeln Sing- und Klingkunst“; ihm folgen Marpurg („Historisch-kritische Beiträge“, 1754–60), J. A. Hiller („Lebensbeschreibungen berühmter Tonkünstler“, 1784) und Forkel („Geschichte der M.“, 1788–1801, und „Allgemeine Litteratur der M.“, 1792). In Italien wirken auf demselben Gebiet und mit gleichem Erfolg der oben genannte Padre Martini („Storia della musica“, 1775–81) und Arteaga („Le revoluzioni del teatro musicale italiano“, 1785); in Frankreich Burette, der erste glückliche Entzifferer der in der Renaissancezeit aufgefundenen, damals noch unverständlich gebliebenen Fragmente altgriechischer M., und de la Borde („Essai sur la musique ancienne et moderne“, 1780); in England Burney („A general history of music“, 1776–89) und Hawkins („A general history of the science and practice of music“, 1776). Als zuverlässige Hilfsmittel bieten sich den Historikern dieser Zeit die mit Gründlichkeit und Sachkenntnis redigierten Sammelwerke von Meibom („Antiquae musicae auctores septem“, 1652) und vom Fürstabt Gerbert („Scriptores ecclesiastici“, 1784), erstere die wichtigsten Musikschriftsteller des Altertums, letztere die des Mittelalters reproduzierend; ferner die Arbeiten der Lexikographen, unter denen Brossard („Dictionnaire de musique“, 1703) und J. J. Rousseau („Dictionnaire de musique“, 1768) in Frankreich, J. G. Walther („Musikalisches Lexikon“, 1732) und Gerber („Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler“, 1792) in Deutschland hervorragen. Ferner ist noch der Akustik zu gedenken, welche im Lauf des 18. Jahrh. durch den Franzosen Sauveur („Système général des intervalles des sons“, 1701), der auch die Bezeichnung „Akustik“ für die Lehre vom Schall einführte, sowie in Deutschland durch Euler („Dissertatio de sono“, 1727) und Chladni („Entdeckungen über die Theorie des Klanges“, 1787) in erfolgreicher Weise ausgebildet wurde. Die Anwendung der 1750 von A. G. Baumgarten unter dem Namen Ästhetik ausgebildeten Wissenschaft vom Sinnlich-Schönen auf das musikalische Kunstwerk endlich versuchte zum erstenmal der Dichter-Komponist Daniel Schubart in seinen nach seinem Tod veröffentlichen „Ideen zur Ästhetik der Tonkunst“ (1806).

IV. Die Musik im 19. Jahrhundert.

Forschen wir nun nach der musikalischen Signatur des 19. Jahrh., so erscheint dieselbe wesentlich bestimmt durch die von den sogen. Wiener Meistern Haydn, Mozart und Beethoven zur selbständigen Macht erhobene Instrumentalmusik. Begreiflicherweise übte dieselbe ihren Einfluß vorwiegend in Deutschland, wo die Pflege des Gesanges nicht nur von vornherein durch natürliche (unter andern klimatische) Verhältnisse, sondern auch durch Nebenumstände, namentlich durch die verzögerte Ausbildung der Sprache, erschwert war. Gleichwohl fanden die zu Anfang des Jahrhunderts hier auftretenden Komponisten ihren [929] Hauptwirkungskreis in der Oper, weil die absolute M. ihren Kräften nur geringen Spielraum bot, nachdem Beethoven auf diesem Gebiet scheinbar das letzte Wort gesprochen hatte, jedenfalls seiner Zeit um mehrere Menschenalter vorausgeeilt war. Überdies war mit dem Aufschwung der deutschen Sprache und Dichtung ein wesentliches Hindernis für die Entwickelung der deutschen Vokalmusik beseitigt, und die der klassischen Zeit folgende Epoche der romantischen Dichtung bot ihr neben einer reich ausgebildeten Sprache noch eine Fülle neuen, zur musikalischen Bearbeitung vortrefflich geeigneten Stoffes. Diesen Umständen verdankte die deutsche romantische Oper ihre Entstehung, als deren Hauptvertreter Spohr („Faust“, 1816), Weber („Freischütz“, 1821) und Marschner („Vampir“, 1828) zu nennen sind. Von ihnen wußte besonders Weber neben dem romantischen und phantastischen auch für das volkstümliche Element den entsprechenden musikalischen Ausdruck zu finden, und deshalb konnte sein „Freischütz“ zu einer Popularität gelangen, welche selbst Mozarts Opern, obwohl ihm an tonkünstlerischem Wert weit überlegen, nicht erreicht haben. Marschner wußte auch für Darstellung des Komischen den richtigen Ton zu treffen und hat auch auf diesem Gebiet unbestreitbare Erfolge gehabt; ja, die Stärke der romantischen Strömung seiner Zeit scheint ihn allein abgehalten zu haben, sich der komischen Oper, welche in Deutschland überhaupt nur zwei namhafte Vertreter in Dittersdorf (gest. 1799), dem Zeitgenossen Mozarts, und im 19. Jahrh. in Lortzing (gest. 1851) gefunden hat, mit ganzer Kraft zu widmen. Eine zweite musikalische Nachwirkung der sprachlichen und dichterischen Errungenschaften des 18. Jahrh. war die Ausbildung des deutschen Liedes. Schon seit der Fridericianischen Zeit hatten ernst strebende Männer, wie Reichardt (gest. 1814), Zelter (gest. 1832) u. a., sich bemüht, das Volkslied durch kunstmäßige Behandlung zu veredeln; die volle Verwirklichung dieses Plans jedoch, die Umgestaltung des Volksliedes zum Kunstlied, sollte erst dem genialen Erben der Beethovenschen Kunst, Franz Schubert („Erlkönig“, 1821), gelingen. Durch ihn wurde der Typus dieser Kunstgattung endgültig festgestellt, und wenn auch spätere Komponisten, wie Mendelssohn, Schumann, Rob. Franz, sie nach einer oder der andern Seite weiterhin ausbauten, so ist doch die naive Kraft, der unerschöpfliche Melodienreichtum und die feine Charakteristik des Schubertschen Liedes zu keiner Zeit wieder erreicht worden. In diesen beiden Fällen hatte die Instrumentalmusik einen wichtigen Anteil am Erfolg; denn wie die romantische Oper nur durch Verwendung des von Beethoven hinterlassenen Orchesters ihre Aufgabe lösen konnte, das von den Dichtern erschlossene Reich der Phantasie mit Hilfe des Tons zu beleben, so bedurfte das deutsche Lied in seiner modernen Gestalt der Mitwirkung des Beethovenschen Klaviers, um die in der Lyrik Goethes und seiner Nachfolger erscheinende Mannigfaltigkeit subjektiver Empfindungen in Tönen erschöpfend darzustellen. Im Gegensatz zu dem ältern Lied, welches sich an der einfachsten Begleitung genügen ließ, gewann diese im Schubertschen Lied eine solche Selbständigkeit und Bedeutung, daß sie die Singstimme nicht nur ergänzend unterstützt, sondern ihr auch nicht selten gleichberechtigt gegenübertritt.

Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, daß gerade in Wien, dem Schauplatz von Schuberts Wirksamkeit, das Klavierspiel einen außerordentlichen Aufschwung genommen hatte und zuerst durch Mozart, auf welchen die durch Ph. Em. Bach vermittelten Traditionen Seb. Bachs übergegangen waren, sowie durch Beethoven, der den Grund seines musikalischen Rufs bekanntlich als Klaviervirtuose gelegt hat, aufs reichste entwickelt war. Nach ihnen fand die sogen. Wiener Schule in Mozarts Schüler Hummel (gest. 1837) einen würdigen Repräsentanten (auch Moscheles [gest. 1870], in der Prager Schule Tomascheks ausgebildet, darf als Nachfolger jener Meister gelten); dann aber schlägt sie unter Czernys (gest. 1857) Leitung eine Richtung auf das Äußerlich-Virtuosenhafte ein, bis mit dem Auftreten der drei bedeutendsten Schüler desselben, Liszt (gest. 1886), Thalberg (gest. 1871) und Theodor Kullak (gest. 1882), das Klavierspiel wiederum die Lösung höherer Kunstaufgaben zum Ziel nimmt. Nicht minder erfreuliche Fortschritte macht das Violinspiel in der ersten Hälfte des Jahrhunderts unter Spohr (gest. 1859), der mit seiner Thätigkeit als Komponist die des Violinvirtuosen und Lehrers aufs glücklichste vereinte und während seiner langjährigen Künstlerlaufbahn eine sehr große Zahl von Schülern bildete, unter denen die bedeutendsten, Hubert Ries in Berlin (gest. 1886) und Ferd. David in Leipzig (gest. 1873), wiederum Häupter besonderer Schulen wurden. Auch in Wien blühte das Violinspiel anfangs unter Schuppanzigh (gest. 1830), dem ersten Interpreten der Beethoven-Streichquartette, dann unter seinem Schüler Mayseder (gest. 1863), dessen Lehrgabe auf Jos. Böhm (gest. 1876) und von diesem auf Jakob Dont (geb. 1815) überging. Rechnet man die Vervollkommnung hinzu, welche die Technik auch der übrigen Instrumente durch Künstler wie B. Romberg (Violoncello), Bärmann (Klarinette), Fürstenau (Flöte) u. a. fand, so wird es begreiflich, daß nach Beethovens Tod, wiewohl seine musikalische Hinterlassenschaft noch für lange Jahre hinaus Nahrung bot, der Versuch gewagt wurde, die Instrumentalmusik als solche weiterzubilden. Felix Mendelssohn (1809–1847) und Rob. Schumann (1810–56) unternahmen es, wenn nicht über Beethoven hinauszugehen, so doch der absoluten M. neue Gebiete zu erschließen, und dies gelang namentlich dem erstern, indem er die Fähigkeit der Instrumente zu tonmalerischen Schilderungen (z. B. in seinen Ouvertüren zum „Sommernachtstraum“, „Meeresstille und glückliche Fahrt“) aufs geschickteste zu verwerten wußte. Der Schwerpunkt der Leistungen dieser beiden Meister liegt gleichwohl nicht in ihrer Orchestermusik, sondern in den Stimmungsbildern knappster Form, zu denen sie sich durch das Klavier inspirieren ließen. Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ und Schumanns gleichartige Arbeiten übten, indem sie die intimsten Regungen der Künstlerseele widerspiegelten, auf die Zeitgenossen einen ungemeinen Reiz aus und fanden zahlreiche Nachahmer, wirkten anderseits aber auch nachteilig, weil sie der Subjektivität einen unbeschränkten Spielraum gewährten. Gegen diese fand Mendelssohn ein Gegengewicht in dem liebevollen Studium der Werke Bachs und Händels, und indem er dieselben der Vergessenheit entriß, welcher sie bald nach dem Tod ihrer Schöpfer verfallen waren (die von ihm unter den größten Schwierigkeiten durchgesetzte Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion in Berlin, 1829, ein Jahrhundert nach ihrer ersten Aufführung, ist eine der verdienstvollsten von seinen künstlerischen Thaten), indem er sich ferner durch das Beispiel jener Meister zu seinen bedeutendsten Werken, den Oratorien: „Paulus“ (1836) und „Elias“ (1846), begeisterte, hat er für sich und seine Zeit die Gefahren [930] eines einseitigen Kultus der Instrumentalmusik glücklich abgewendet.

In Frankreich und Italien, wo die Neigung zur Oper auch im 19. Jahrh. überwiegend ist, macht sich die Einwirkung der Instrumentalmusik weniger entschieden geltend; doch ist nicht zu verkennen, daß die dramatische M. auch dort unter ihrem Einfluß steht. Besonders gilt dies von Frankreich, wo Cherubini („Wasserträger“, 1800) und Méhul („Joseph in Ägypten“, 1807) im engen Anschluß an Haydn, Spontini („Vestalin“, 1807) dagegen als geistiger Erbe Glucks die Große Oper auf der unter dem letztgenannten Meister erreichten Höhe erhalten. Auch die nächste Generation der für dies Kunstinstitut arbeitenden Komponisten, Auber („Stumme von Portici“, 1828), Meyerbeer („Robert der Teufel“, 1831) und Halévy („Jüdin“, 1835) machen vom Orchester den ausgedehntesten Gebrauch; ja, es wird dasselbe, von Meyerbeer wenigstens, nicht selten zu Effekten verwendet, die außerhalb der Sphäre des Künstlerischen liegen. Mit dem Auftreten dieses zwar genial beanlagten, in der Verwendung seiner Gaben jedoch wenig gewissenhaften Komponisten beginnt der Niedergang der französischen „großen“ Oper, wogegen die komische Oper, nachdem Boieldieu („Johann von Paris“, 1812), Auber („Maurer und Schlosser“, 1824), Hérold („Zampa“, 1831) und Adam („Postillon von Longjumeau“, 1836) den Wegen Grétrys gefolgt waren, noch eine reiche Blütezeit erlebt, bis auch sie um Mitte des Jahrhunderts durch Offenbach (gest. 1880) in niedrigere, nicht selten gemeine Sphären hinabgezogen wird. Italien zeigte schon Ende des 18. Jahrh. eine merkliche Abnahme seiner musikalischen Produktionskraft; zwar lauschte Europa noch bis Anfang dieses Jahrhunderts den einschmeichelnden Melodien der letzten Ausläufer der neapolitanischen Schule, den Opern eines Cimarosa (gest. 1801), Sarti (gest. 1802), Paesiello (gest. 1816), Zingarelli (gest. 1837) u. a.; doch waren die idealer angelegten Tonkünstler Italiens schon seit längerer Zeit darauf hingewiesen, wie Cherubini und Spontini, in der Anlehnung an die M. des Auslandes künstlerische Befriedigung zu finden. Auch die reine Instrumentalmusik findet nicht länger auf italienischem Boden die zu ihrem Gedeihen erforderliche Nahrung; der größte Klavierspieler Italiens, der Römer Muzio Clementi (gest. 1832), fand seinen Wirkungskreis von 1766 an in London und wurde dort das Haupt jener berühmten Schule, aus welcher unter andern J. B. Cramer, John Field und Ludwig Berger (der Lehrer Mendelssohns) hervorgingen. Der letzte Vertreter des klassischen italienischen Violinspiels aber, Viotti (gest. 1824), erlangte eine ähnliche Stellung in Paris als Stifter der französischen Violinschule, deren Repräsentanten Rode, Kreutzer und Baillot als Virtuosen und Komponisten, besonders aber als die Verfasser der vielverbreiteten „Méthode de violon“ (1803) ihr einen Weltruf erwarben. Daß aber auch jetzt der musikalische Genius Italiens die Kraft zu selbständiger Kundgebung noch nicht verloren hatte, beweist die blendende Erscheinung Rossinis, der von 1813 an, wo sein „Tankred“ in Venedig zum erstenmal in Szene ging, bis 1829, wo er (38 Jahre vor seinem Tod) mit dem „Tell“ für immer von der Bühne Abschied nahm, ganz Europa durch den Zauber seiner Melodie zu fesseln wußte, derart, daß z. B. das Wiener Publikum selbst Beethoven und Weber über ihm vergessen konnte. Indessen sah auch er sich schließlich gezwungen, dem Ausland seinen künstlerischen Tribut zu entrichten, und es darf als ein Zeichen der Zeit gelten, daß er sein bedeutendstes, an Reichtum und Gediegenheit seinen übrigen Opern weit überlegenes Werk, den „Tell“, für die französische Große Oper geschrieben hat.

Das Musikleben der Gegenwart bietet in seinen hervorragenden Erscheinungen so bedeutsame Anknüpfungspunkte an Vergangenes, daß eine Charakteristik desselben dem vorstehenden musikgeschichtlichen Rückblick als Abschluß nicht fehlen darf. In erster Reihe ist es die imposante Künstlerpersönlichkeit Richard Wagners (1813–83), welche den Blick auf sich zieht. Die von ihm in Angriff genommene Reform der Oper, welche sich im Prinzip der Glucks anschließt, insofern auch Wagner im musikalischen Drama für die Dichtkunst den ersten Platz beansprucht und der Tonkunst nur eine sie unterstützende Rolle zuweist, kann zwar noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden, hat jedoch bereits eine wesentliche Umgestaltung der Kunstanschauung sowie eine Neubelebung der künstlerischen Produktion bewirkt. Und dies nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland; denn die bedeutendsten Opernkomponisten des heutigen Italien und Frankreich, Verdi („Aïda“, 1871) und Gounod („Faust“, 1859), haben sich dem Einfluß des deutschen Meisters nicht entziehen können. Noch ungleich bestimmter äußert sich derselbe auf die jüngere Komponistengeneration, welche in den genannten Ländern sowie namentlich auch in Rußland dem von Wagner als Dichter, Komponist und Ästhetiker gegebenen Impuls meist mit Begeisterung gefolgt ist. Wie auf dem Gebiet der dramatischen, so zeigt sich auch auf dem der kirchlichen Tonkunst unsrer Zeit ein eifriges Streben, durch engern Anschluß an die Dichtung die Vokalmusik zu jener ursprünglichen Reinheit zurückzuführen, die sie durch die Übergriffe der Opern- und der Instrumentalmusik (die letztere von R. Wagner zutreffend als eine „veredelte Tanzmusik“ bezeichnet) während der letzten zwei Jahrhunderte eingebüßt hatte, und hier ist es besonders der Gregorianische Gesang, an dessen Wiederherstellung eine große Zahl reichbefähigter Männer, wie F. X. Haberl, Herausgeber des „Magister choralis“, Franz Witt, der Gründer des Allgemeinen deutschen Cäcilienvereins, Joseph Mohr u. a., in Frankreich Guéranger, Pothier, Bonhomme u. a., mit Liebe u. Sachkenntnis arbeiten. Zu den Mitarbeitern an diesem verdienstvollen Werke gehört auch Franz Liszt, der sich von 1860 an vorwiegend der Kirchenkomposition widmete und in zahlreichen Werken dieser Gattung, namentlich in seinem Oratorium „Christus“, durch Verwendung der Kirchentonarten und Gregorianischer Gesangsmotive den religiösen Empfindungen ungleich bessern Ausdruck verlieh, als es die von der Oper völlig überflutete Kirchenmusik des vorigen und der ersten Jahrzehnte unsers Jahrhunderts vermochte, auch die als rein musikalische Kunstwerke höchst wertvollen Kirchenkompositionen Cherubinis nicht ausgenommen. Ein ebenso großes Verdienst hat sich Liszt, seitdem er die Virtuosenlaufbahn verlassen, um die Ausbildung der Instrumentalmusik erworben; er war es, der in geistiger Gemeinschaft mit dem genialen Franzosen Hector Berlioz (gest. 1869) die sogen. Programmmusik, d. h. eine M., welche einen bestimmten dichterischen Inhalt in Tönen versinnlicht, ohne jedoch in eigentliche Tonmalerei auszuarten, zu einer neuen Kunstgattung ausbildete und in seinen gewaltigen symphonischen Dichtungen zeigte, daß eine derartige Verbindung von Dicht- und Tonkunst, weit entfernt, dem [931] Flug der Phantasie oder der ernsten Arbeit des Musikers hinderlich zu sein, seiner schaffenden Thätigkeit vielmehr einen neuen und reichen Wirkungskreis eröffnet. Und noch nach einer dritten Richtung hin erstreckt sich der von Liszt auf die M. der Gegenwart geübte heilsame Einfluß: das oberflächliche Instrumental-Virtuosentum, welches in den 20er und 30er Jahren vornehmlich von Paris aus unter Führung von Kalkbrenner und Henri Herz in ganz Europa seine Triumphe feierte, fand in ihm einen energischen Gegner. Selbst der größte Virtuose aller Zeiten, zog Liszt es doch vor, seine gewaltige Reproduktionskraft ausschließlich in den Dienst der idealen Kunst zu stellen, und das von ihm gegebene Beispiel der Selbstverleugnung wirkte so heilsam, daß die falschen Propheten des Klavierspiels bald nach seinem Erscheinen vom Schauplatz abtreten mußten.

Angesichts des wahrhaft kunstförderlichen Einflusses der von Liszt gegründeten, gegenwärtig durch Hans v. Bülow repräsentierten Schule des Klavierspiels darf man es kaum beklagen, daß dasselbe in unsern Tagen zu fast unbeschränkter Herrschaft gelangt ist; doch bleibt immerhin zu wünschen, daß das unverhältnismäßig vernachlässigte Studium der übrigen Instrumente und vor allem des Gesanges einen ähnlichen Aufschwung in baldiger Zukunft nehmen möge. Bei aller Anerkennung der mit Ausbildung des Klaviers für die gesamte M. der Neuzeit gewonnenen Vorteile (es sei hier noch an Friedr. Chopin [1809–49] erinnert, dessen in den 30er und 40er Jahren entstandene Klavierkompositionen weit über das Gebiet dieses Instruments hinaus anregend und veredelnd gewirkt haben) darf doch nicht vergessen werden, daß, wie der Gesang die Grundlage aller musikalischen Bildung, so das Studium des Kunstgesanges für die Ausbildung des Musikers unerläßlich ist; und wenn die musikalischen Errungenschaften früherer Jahrhunderte (bis zu Beethovens Zeit) vorwiegend dem Umstand zu danken sind, daß damals jeder Musiker, mochte er mehr oder weniger stimmbegabt sein, auch ein tüchtiger Sänger war, so erscheint eine jenen Zeiten analoge Pflege des Kunstgesanges, d. h. seine Einführung als obligatorischer Unterrichtsgegenstand in die Musikschulen, als unerläßliche Bedingung einer gesunden Weiterentwickelung der M. Als vereinzelte Bestrebungen, dem Gesangstudium die ihm gebührende Bedeutung wieder zu erringen, verdient die Thätigkeit Eduard Grells und Heinrich Bellermanns (Berlin), Wüllners (Köln), Riedels (Leipzig), besonders auch des durch Beispiel und Lehre wirkenden größten Kunstsängers unsrer Zeit, Jul. Stockhausens (Frankfurt a. M.), hervorgehoben zu werden. Sie zu unterstützen, wäre um so mehr Aufgabe der deutschen Kunstkreise, als die bisherige Heimat des Gesanges, Italien, diesen Namen gegenwärtig kaum mehr verdient, seitdem die von sinnlichem Reiz erfüllte Oper Rossinis und seiner nächsten Nachfolger, Bellini (gest. 1835) und Donizetti (gest. 1848), der Verdis und damit der zur Zeit des erstgenannten durch einen Rubini, einen Tamburini, eine Catalani, Pasta, Grisi vertretene Kunstgesang dem eigentlich dramatischen hat weichen müssen. Für diese Kunstgattung nun hat sich Frankreich wie im 17. und 18. Jahrh., so auch in neuerer Zeit besonders befähigt gezeigt, und schwerlich werden die dramatischen Gesangsleistungen der dort in den 30er Jahren aufgetretenen Nourrit, Duprez, Roger anderswo übertroffen werden. Aber auch auf allen andern Gebieten der ausübenden Tonkunst hat Frankreich eine musikalisch bildende Kraft bewährt, die den Wetteifer der übrigen Nationen herauszufordern wohl geeignet ist. Denn wenn man erwägt, daß das Pariser Konservatorium seit seiner Begründung inmitten der politischen Stürme von 1792 neben dem dramatischen auch den Kunstgesang mit überraschendem Erfolg gepflegt hat, wie das Beispiel Stockhausens zeigt, der dort seine Ausbildung genossen; daß es Pianisten und Symphoniker von der klassischen Richtung eines Saint-Saëns zu seinen Schülern zählt; daß das Violinspiel sich unter Alard auf der ihm durch Baillot errungenen hohen Stufe erhalten hat, ja, sofern man die von Baillots Schüler de Bériot gestiftete und durch ihn wie durch seine Schüler Vieuxtemps und Léonard berühmt gewordene belgische Violinschule als einen Zweig der französischen betrachten darf, noch weit über jene Stufe hinausgeschritten ist; daß das Studium der übrigen Streich- sowie der Blasinstrumente im Gegensatz zu den meisten deutschen Konservatorien dort mit gleichem Eifer betrieben wird; daß endlich die Unterrichtsgrundsätze des Pariser Konservatoriums für die Pflanzschulen (succursales) desselben in den größern Provinzialstädten maßgebend und somit für das ganze Land fruchtbringend sind: so darf man das Musikunterrichtswesen der Franzosen als musterhaft bezeichnen.

Um jedoch noch einmal nach Italien zurückzublicken, so wäre es ungerecht, die musikalischen Fortschritte zu ignorieren, welche auch dort in neuester Zeit gemacht worden sind. Mit der politischen Wiedergeburt des durch jahrhundertelanges Mißgeschick erschöpften Landes hat auch das italienische Musikleben wieder einen ernsten Charakter gewonnen, wozu die in den großen Städten der Halbinsel entstandenen Quartettgesellschaften, deren erste in Florenz 1861 vom Musikschriftsteller Basevi und vom Verleger Guidi gegründet wurde, vornehmlich beigetragen haben. Die von diesen Gesellschaften gegebene Anregung, den Kreis des nationalen Musikempfindens durch das Studium der Kammer- und Orchestermusik fremden, namentlich deutschen, Ursprungs zu erweitern, hat bis zur Gegenwart außerordentlich fruchtbringend gewirkt, selbst auf den Geschmack des Opernpublikums, wie aus der günstigen Aufnahme, welche das Musikdrama R. Wagners in mehreren Städten Italiens gefunden hat, mit Recht gefolgert werden darf. Weit geringeres Interesse bietet das Musikleben der übrigen Nationen Europas. England hat ungeachtet der idealen Bestrebungen einzelner seiner Komponisten, wie Sterndale-Bennett (gest. 1875), G. A. Macfarren (gest. 1887), A. C. Mackenzie (geb. 1847), A. Sullivan (geb. 1842) u. a., sowie der materiellen Opferwilligkeit des Publikums, noch nicht wieder zu der tonkünstlerischen Selbständigkeit gelangen können, die es namentlich zur Zeit der Königin Elisabeth besessen und mit dem Tod seines begabtesten Komponisten, Henry Purcell (gest. 1695), eingebüßt hat. Und wie infolgedessen die englische Tonkunst überwiegend auf die Hilfe des Auslandes angewiesen ist, so auch und noch mehr die der Vereinigten Staaten Amerikas, die während ihrer verhältnismäßig kurzen Geschichte zu sehr vom Kampf ums Dasein in Anspruch genommen waren, um die Ausbildung einer nationalen Kunst ins Auge fassen zu können. Einstweilen aber muß anerkannt werden, daß Amerika den regsten Anteil an der musikalischen Entwickelung Europas nimmt, und daß es, besonders seitdem Männer wie Thomas und Damrosch in New York, Hamerick und Fincke in Baltimore das [932] musikalische Zepter schwangen, bezüglich seiner Reproduktionsfähigkeit hinter der Alten Welt nicht zurücksteht. Ungleich produktiver als diese beiden Länder zeigt sich Rußland, wo schon Ende des 18. Jahrh. mit dem als Reformator der russischen Kirchenmusik höchst verdienstvollen Bortniansky (gest. 1825) ein nationales Musikelement zur Geltung gelangte, welches, durch seinen Nachfolger Lwow (gest. 1870) und den Opernkomponisten Glinka (gest. 1857) weiter entwickelt, zur Ausbildung einer selbständigen Tonkunst führte. In den Arbeiten der jüngern, stark von Berlioz und Wagner beeinflußten Schule, eines Tschaikowski, Asantschewsky, Dargomyschsky, Rimski-Korsakow, zeigt sich bereits eine so energische Originalität, daß man Rußland nach Überwindung seiner jetzigen staatlichen wie künstlerischen Sturm- und Drangperiode eine bedeutende musikalische Zukunft voraussagen darf. Weniger originell, weil mehr nach Deutschland gravitierend, zeigt sich die skandinavische M. der Gegenwart, obwohl an den Arbeiten der ältern Meister, der Dänen J. P. Hartmann und Gade, wie auch des durch Emil Hartmann, den Sohn des eben Genannten, ferner durch die Norweger Svendson und Grieg vertretenen jüngern Geschlechts eine nationale Eigenart nicht zu verkennen ist. Was endlich Spanien betrifft, so müßten die Musikzustände dieses Landes hoffnungslos genannt werden, wenn nicht die Thätigkeit des Violinisten Monasterio, der in Madrid die klassischen Konzerte des Konservatoriums leitet, des Komponisten Soriano-Fuertes, der 1841 in Barcelona die erste spanische Musikzeitung ins Leben rief, und andre vereinzelte Symptome darauf deuteten, daß auch in diesem abgelegenen Teil Europas der musikalische Geist der Neuzeit seinen Einfluß auszuüben beginnt. Wie in allen diesen Ländern, so steht gegenwärtig auch in Deutschland die Vokalkomposition, namentlich die dramatische, hinter der Instrumentalkomposition zurück. Zwar hat es uns nicht an Komponisten gefehlt, die unter dem schon hervorgehobenen Einfluß Wagners ihre Kräfte der Bühne widmeten; doch vermochte keiner von ihnen einen entschiedenen Erfolg zu erringen, da sie sich sowohl in der Wahl der Stoffe als in der dichterischen und musikalischen Gestaltung zu eng an ihr Vorbild anschließen, um über die bloße Nachahmung hinauszukommen. Nur diejenigen, welche das Wagnersche Pathos zu vermeiden und einen mehr volkstümlichen Ton zu treffen wußten, wie Peter Cornelius (1824 bis 1874) mit seinem „Barbier von Bagdad“, Hermann Götz (1840–76) mit seiner „Bezähmten Widerspenstigen“, auch Viktor Neßler (geb. 1841) mit seinem musikalisch wertlosen, aber auf die Menge wirkenden „Trompeter von Säckingen“, konnten allgemeinen Beifall finden. Auch diejenigen Vokalkomponisten haben nicht vergebens gestrebt, welche, wie Adolf Jensen (1837–79), Eduard Lassen (geb. 1830) und Alexander Ritter (geb. 1835), das deutsche Lied nach Franz Schuberts Beispiel mit reicherm Inhalt erfüllten, als ihn die zwar sangbaren und melodiösen, aber der Tiefe ermangelnden Lieder ihrer Vorgänger, eines Heinr. Proch (1809–78), Friedr. Kücken (1810–82) und Ferd. Gumbert (geb. 1818), aufweisen. Gleichwohl liegt, wie schon erwähnt, der Schwerpunkt der musikalischen Produktion Deutschlands in der Instrumental-Komposition, unter deren Vertretern Rob. Volkmann (1815–83), Joachim Raff (1822–82), Johannes Brahms (geb. 1833) und Felix Dräseke (geb. 1835) hervorragen, wobei zu bemerken ist, daß die größern Chorwerke der Genannten, neben denen auch die der gleichen Gattung angehörigen Arbeiten Albert Beckers (geb. 1834) ehrenvoll zu nennen sind, sich den Instrumentalwerken größtenteils ebenbürtig anschließen.

Litteratur.

Überreich ist das 19. Jahrh. an theoretischen und musikwissenschaftlichen Arbeiten gewesen, von denen die hervorragendsten im folgenden zusammengestellt sind.

Kompositionslehre: Die Werke von Albrechtsberger („Gründliche Anweisung zur Komposition“, 1790; vermehrte Ausg. von Seyfried, Wien 1826, 3 Bde.), Abt Vogler („Harmonielehre“, Prag 1802), A. B. Marx („Lehre von der musikalischen Komposition“, 4 Bde., Leipz. 1837–47 u. öfter), Sechter („Grundzüge der musikalischen Komposition“, das. 1853–54), Dehn („Kontrapunkt“, Berl. 1859), Lobe („Lehrbuch der musikalischen Komposition“, 4 Bde., 1855–67 u. öfter), E. F. Richter („Lehrbuch der Harmonie“, 17. Aufl., Leipz. 1886; „Lehrbuch der Fuge“, 5. Aufl., das. 1886), H. Bellermann („Kontrapunkt“, Berl. 1862), Cherubini („Cours de contrepoint“; deutsch von Stöpel, Leipz. 1835), Berlioz („Traité d’instrumentation“, 1844; deutsch, Leipz. 1864) u. a.

Geschichte der Musik. a) Allgemeine Geschichte: Kiesewetter, Geschichte der europäisch-abendländischen M. (2. Aufl., Leipz. 1846); Ambros, Geschichte der M. (unvollendet, 2. Aufl., 1880–81, 4 Bde.); Fétis, Histoire générale de la musique (Brüssel u. Par. 1868–76, 5 Bde.); Reißmann, Allgemeine Geschichte der M. (Münch. 1863–65, 3 Bde.); Brendel, Geschichte der M. in Italien, Deutschland und Frankreich (Leipz. 1851, 7. Aufl. 1887); A. v. Dommer, Handbuch der Musikgeschichte (2. Aufl., das. 1878); H. A. Köstlin, Geschichte der M. im Umriß (3. Aufl., Tübing. 1883); Langhans, Die Musikgeschichte in zwölf Vorträgen (2. Aufl., Leipz. 1878). – b) M. des Altertums: Fr. Bellermann, Die Hymnen des Dionysius und Mesomedes (Berl. 1840); Derselbe, Die Tonleitern und Musiknoten der Griechen (das. 1847); Westphal, Die M. des griechischen Altertums (Leipz. 1883) und andre Schriften des Verfassers, besonders über die Rhythmik und Harmonik der Griechen; Weitzmann, Geschichte der griechischen M. (Berl. 1855); Gevaert, Histoire et théorie de la musique de l’antiquité (Brüssel 1875–81, 2 Bde.). – c) M. des Mittelalters: Coussemaker, Histoire de l’harmonie au moyen-âge (Berl. 1852); v. d. Hagen, Minnesinger, Bd. 4 (Leipz. 1838); Schubiger, Die Sängerschule St. Gallens (Einsiedeln 1858); Kiesewetter, Die Verdienste der Niederländer (Amsterd. 1829); Jacobsthal, Die Mensuralnotenschrift des 12. und 13. Jahrh. (Berl. 1871); H. Bellermann, Die Mensuralnoten des 15. und 16. Jahrhunderts (das. 1858); Schelle, Die Sixtinische Kapelle (Wien 1872). – d) M. der neuern Zeit: K. F. Becker, Die Hausmusik in Deutschland im 16., 17. und 18. Jahrhundert (Leipz. 1840); Langhans, Die Geschichte der M. des 17., 18. und 19. Jahrhunderts (das. 1882–87, 2 Bde.); Reißmann, Geschichte des deutschen Liedes (Berl. 1874); Winterfeld, Johannes Gabrieli und sein Zeitalter (Leipz. 1834); Derselbe, Der evangelische Kirchengesang (das. 1843 bis 1847, 3 Bde.); Lindner, Die erste stehende deutsche Oper (Berl. 1855); Fürstenau, Zur Geschichte der M. und des Theaters am Hofe zu Dresden (Dresd. 1861–62, 2 Bde.); Castil-Blaze, L’académie impériale de musique (Par. 1847–55, 2 Bde.); Chouquet, Histoire de la musique dramatique en France (das. 1873); Riemann, Studien zur Geschichte [933] der Notenschrift (Leipz. 1878); Schletterer, Studien zur Geschichte der französischen M. (Berl. 1884–85, 3 Tle.); Wasielewski, Geschichte der Instrumentalmusik im 16. Jahrhundert (das. 1878); Derselbe, Die Violine und ihre Meister (2. Aufl., Leipz. 1883); Lavoix, Histoire de l’instrumentation (Par. 1878); Fétis, Stradivarius (Brüssel 1856); Vidal, Les instrumens à archet (Par. 1876–79, 3 Bde.); Weitzmann, Geschichte des Klavierspiels und der Klavierlitteratur (2. Aufl., Stuttg. 1879). Reiches Material bietet die vom Grafen Waldersee herausgegebene „Sammlung musikalischer Vorträge“ (Leipz. 1879 ff.).

Lexika: Schilling, Universal-Lexikon der Tonkunst (Stuttg. 1834–42, 6 Bde.); Bernsdorf, Neues Universal-Lexikon der Tonkunst (Offenbach 1856–1861, 3 Bde.; Nachtrag 1863); A. v. Dommer, Musikalisches Lexikon (auf Grundlage des Kochschen, Leipz. 1865); Mendel-Reißmann, Musikalisches Konversations-Lexikon (Berl. 1870–79, 11 Bde.; Suppl. 1881); Riemann, Musiklexikon (3. Aufl., Leipz. 1887); Fétis, Biographie universelle des musiciens (2. Aufl., 1860–65, 8 Bde.; Supplement 1878–80, 2 Bde.); d’Ortigue, Dictionnaire du Plain-chant (1854); Grove, Dictionary of music and musicians (Lond. 1878–87, 4 Bde.); K. F. Becker, Systematisch-chronologische Darstellung der musikalischen Litteratur (Leipz. 1836; Nachtrag 1839).

Ästhetik: Thibaut, Über Reinheit der Tonkunst (Heidelb. 1825, 6. Aufl. 1884); Hauptmann, Die Natur der Harmonik und Metrik (Leipz. 1853); Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen (Braunschweig 1863, 4. Aufl. 1877); Hanslick; Vom Musikalisch-Schönen (7. Aufl., Leipz. 1885); A. Kullak, Ästhetik des Klavierspiels (2. Aufl., Berl. 1876); Hostinsky, Das Musikalisch-Schöne (das. 1877); Lussy, Traité de l’expression musicale (5. Aufl., Par. 1885; deutsch, Leipz. 1886); H. A. Köstlin, Die Tonkunst (Stuttg. 1879); Ehrlich, Die Musikästhetik in ihrer Entwickelung (Leipz. 1881); G. Engel, Ästhetik der Tonkunst (Berl. 1884); Wallaschek, Ästhetik der Tonkunst (Stuttg. 1886); ferner die gesammelten Schriften von R. Schumann (3. Aufl., Leipz. 1882, 2 Bde.), Rich. Wagner (das. 1871–83, 10 Bde.), Fr. Liszt (das. 1880–83, 6 Bde.), H. Berlioz u. a.

Musikzeitungen: Die von Friedr. Rochlitz 1799 begründete „Allgemeine musikalische Zeitung“ (Leipz., bis 1882); die von 1805 bis 1806 von J. F. Reichardt herausgegebene „Berlinische musikalische Zeitung“; die 1834 von Schumann begründete, 1844 durch Franz Brendel fortgesetzte „Neue Zeitschrift für Musik“ (Leipzig); die „Berliner allgemeine musikalische Zeitung“ von A. B. Marx, 1824–30; die unter Wolzogens Redaktion erschienenen „Bayreuther Blätter“ (1878–83); „Der Klavierlehrer“, redigiert von Breslaur (Berl., seit 1878); die von O. Leßmann in fortschrittlichem Sinn geleitete „Allgemeine Musikzeitung“ (Charlottenb., seit 1874); das „Musikalische Wochenblatt“ (Leipz., seit 1870); die „Signale für die musikalische Welt“ (das., seit 1843); in Paris die „Revue et gazette musicale“ (von Fétis begründet, 1827 bis 1880); der 1833 begründete „Ménestrel“; die seit 1885 monatlich erscheinende „Revue Wagnérienne“; die Londoner Zeitungen: „Musical Times“ (seit 1859), „Musical Record“ (seit 1870) und „The tonic sol-fa Reporter“ (seit 1851); „Dwight’s Journal of Music“ (Bost., seit 1841), das hervorragendste außereuropäische Blatt; „Cecilia“ (im Haag, Redakteur Nicolai); „Gazetta musicale“ (Mail., seit 1845); „Il Trovatore“ (das., seit 1863); „Boccherini“ (Flor. 1853–82); „Gazetta musicale di Firenze“ (seit 1877); „La España musical“ (Barcel., seit 1866); ferner die „Monatshefte für Musikgeschichte“ (Organ der Gesellschaft für Musikforschung, seit 1869, redigiert von Eitner, Leipz.); die „Vierteljahrshefte für Musikwissenschaft“ (hrsg. von Chrysander und Spitta, Leipz., seit 1885). – Bibliographische Hilfsmittel: Hofmeisters „Handbuch der musikalischen Litteratur“ (Leipz., bis jetzt 8 Bde.) und „Musikalisch-litterarischer Monatsbericht“ (das.); für Frankreich: die „Bibliographie musicale française“ (seit 1875); für England: „The London and provincial music-trades Review“ (seit 1877); für Amerika: „The music-trades Review“ (New York, seit 1873). Vgl. Freystätter, Die musikalischen Zeitschriften seit ihrer Entstehung bis zur Gegenwart (Münch. 1884).